Es ist so eine dieser Fragen, auf die es wohl nie eine zu 100 Prozent zufriedenstellende Antwort geben wird: Wieso verspeisen die einen alljährlich am 11. November eine Martinsgans, während andere sich Narrenkappen aufsetzen und genüsslich in Pfannkuchen beißen? Da muss es doch einen Zusammenhang geben! Einer, der vielleicht Bescheid weiß, ist Pfarrvikar Markus Hartung von der katholischen Sankt-Georg-Gemeinde in Rathenow.
Rund 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten
Beim Pfarrvikar angefragt, lässt er wissen, dass die Zeit vor Ostern nicht die einzige Fastenzeit ist bzw. war. Früher habe es auch das Martinifasten gegeben, eine rund 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten, so Hartung. Diese Fastenzeit habe nach dem Sankt-Martinsfest am 11. November begonnen. Am Tag des Heiligen selbst habe man sich bei einer Martinsgans auf die Gans zu Weihnachten gefreut.
Fastencharakter der Adventszeit ging verloren
„Im Laufe der Kirchengeschichte wurde die Vorbereitungszeit auf Weihnachten auf die uns heute bekannte vierwöchige Adventszeit verkürzt, und auch der Fastencharakter ist dabei weitgehend verlorengegangen“, so Pfarrvikar Hartung weiter, „wobei natürlich jeder frei ist, die Vorbereitungszeit auf Weihnachten auch weiterhin individuell mit Verzichtsleistungen zu prägen.“ Gemäß persönlichem Vorsatz könne der Verzicht tatsächliches Fasten sein, weitergefasst jedoch auch Verzicht auf Alkohol, Tabak, Fernsehen etc. bedeuten.
Sich auf Wasser und Brot beschränken?
Ein anderer im Glauben fester Zeitgenosse ist Dr. Heinz-Walter Knackmuß, Mitglied der evangelischen Sankt-Marien-Andreas-Gemeinde in Rathenow. Er ist studierter Mediziner im Ruhestand, war bis 2006 Amtsarzt im Havelland und ist in Kirchengeschichte sehr belesen. Wie er berichtet, gehört das Fasten zum Christentum, wie im Übrigen auch zu allen bekannten Weltreligionen.
Fasten bedeutet, zu bestimmten Zeiten des Kirchenjahres - oder auch wöchentlich freitags - auf Nahrungsaufnahme ganz oder teilweise zu verzichten bzw. die Nahrung einfacher zu gestalten. Das kann in der Form geschen, dass man etwa auf Fleisch verzichtet und sich auf Wasser und Brot beschränkt.
Knackmuß sagt: „Jedes Organsystem braucht auch seine Pausen“
Aus medizinischer Sicht stellt Fasten eine Entschlackung für den Körper dar. „Jedes Organsystem braucht auch seine Pausen“, so Knackmuß. Heute seien in Deutschland Übergewicht und Herz-Kreislauferkrankungen weit verbreitete Wohlstandskrankheiten. „Wenn es den Menschen besser geht, möchten sie sich etwas gönnen und essen einfach mehr.“
„Fleisch - lebe wohl“ - der Karneval beginnt
„Fleisch - lebe wohl“ - so lautet die allgemein angenommene Übersetzung des Begriffs Karneval. Das könnte erklären, warum allerorten die Fünfte Jahreszeit am Martinstag beginnt. Allerdings verzichten die meisten Narren traditionell auf ihre Spielchen in der verbleibenden Zeit bis zum Jahresende.
In der Regel setzt die aktive närrische Phase im Februar ein und erreicht am Rosenmontag ihren absoluten Höhepunkt. Am Tag danach ist Fastnacht zu Aschermittwoch. Und dann beginnt die allseits bekannte Fastenzeit bis Ostern. Es hat also den Anschein, dass „Fleisch - lebe wohl“ beiden Fastenzeiten unmittelbar vorausgehen würde.
St. Martin reitet auch 2021 nicht in Rathenow
Wer am 11. November 2021 kurz vor 11.00 Uhr in Rathenows Mitte unterwegs ist, könnte dem närrischen Volk des RCC begegnen. Der Rathenower Carnevals-Club zieht mit reichlich Ufftata zum Rathaus, wo das Prinzenpaar des Vereins um 11.11 Uhr den Stadtschlüssel in Empfang nimmt. Indessen reitet Sankt Martin auch am Heiligentag 2021 nicht durch die Stadt. Letztmals stieg er 2019 auf sein Pferd, um von der Sankt-Marien-Andreas-Kirche zur Sankt-Georg-Kirche zu gelangen.