Das Bahnhofsgebäude von Seelow-Mark an der Oderbruchstrecke RB 60 Eberswalde-Frankfurt hatte seine Schönheit viele Jahre hinter hässlichen Graffiti verstecken müssen. Das Gebäude war verrammelt und nur Historiker wissen noch davon zu berichten, dass es seit 1930 dort die Tanzdiele „Nora“ gab und Skatturniere stattfanden.
1987 wurden nördlich Toiletten angebaut. Nach der Wende fiel alles in den Dornröschenschlaf. 2013 wurde das Umfeld bereits verschönert. Im Jahr darauf kaufte die Kreisstadt das Gebäude.

Seelow im Netzwerk eingebunden

Vor fünf Jahren wurde die Fördermittelbewilligung für das EU-Projekt, an dem auch Kostrzyn/Küstrin und Slonsk/Sonnenburg teilnehmen, überbracht. 3,8 Millionen Euro schwer war das Projekt, in dessen Zuge drei Erinnerungsstätten hergerichtet wurden. Der Seelower Bahnhof ist dabei die größte Nummer, gefolgt von der Wagner-Villa in Kostrzyn/Küstrin (1,1 Million Euro) und dem alten Slonsker/Sonnenburger Kulturhaus (eine Million Euro).
„Wir haben es ganz bewusst nicht Geschichtsbahnhof genannt“, erklärt Thomas Drewing, der gemeinsam mit den aktuell 15 Mitgliedern des Heimatvereins das Museum ehrenamtlich eingerichtet hat und auch betreuen wird. „Wir sehen das hier als eine Station von vielen in der Region“, verweist der Vereinsvorsitzende, der hauptamtlich als Wirtschaftsförderer der Stadt Seelow sein Büro in der oberen Bahnhofsetage hat, auf andere solcher Stationen wie Neuhardenberg, Letschin, Kostrzyn/Küstrin, Slonsk/Sonnenburg, Golzow, Rathstock oder die benachbarte Gedenkstätte Seelower Höhen und das Ensemble Schweizerhaus. Am Dienstag, 21. März, vereinbaren die einzelnen Stationen eine künftige Vernetzung und Zusammenarbeit.
Fotos am einstigen Haupteingang des Bahnhofs Seelow: mit diesen Folien wurde zusätzliche Ausstellungsfläche gewonnen und zugleich ein Sonnenschutz erreicht.
Fotos am einstigen Haupteingang des Bahnhofs Seelow: mit diesen Folien wurde zusätzliche Ausstellungsfläche gewonnen und zugleich ein Sonnenschutz erreicht.
© Foto: Ulf Grieger

Betondeckung wurde Ententrog

In diesem Museum geht es weniger um das allgemeine Was, sondern viel mehr um das konkrete Wie: Ganz bewusst wurde auf große Lesetafeln verzichtet, in denen die übergreifenden politischen Ereignisse dargestellt werden. Das Wissen darum wird quasi vorausgesetzt, bzw. an anderen „Stationen“ erzählt. Hier geht es darum, wie sich das in der Region rund um Seelow in den Jahren zwischen 1930 und 1960 tatsächlich abgespielt hat. Welche Exponate können mit ihren Geschichten Auskunft geben, über die tiefgreifenden Veränderungen, die auf allen Gebieten stattfanden?
In der Seelower Geschichts-Station: Thomas Drewing zeigt ein Produkt der bekannten Wriezener Betonwerke Krautwurst&Feise. Das wurder noch in den letzten Kriegstagen hergestellt und an die Front verfrachtet.
In der Seelower Geschichts-Station: Thomas Drewing zeigt ein Produkt der bekannten Wriezener Betonwerke Krautwurst&Feise. Das wurder noch in den letzten Kriegstagen hergestellt und an die Front verfrachtet.
© Foto: Ulf Grieger
Da gibt es die riesige schwarz-weiß-rote Reichsflagge, die vielleicht einmal vor dem Landratsamt in Seelow geweht hatte, bis sie von den Nazis 1935 endgültig eingerollt worden war. Oder das Röhrenradio, das unter anderem auch den Sender Gleiwitz verzeichnet, an dem Deutschland den Überfall auf Polen 1939 begonnen hatte.
Zeugnis jüdischen Lebens in Seelow: Vom Friedhof Hinterstaße, auf dem sich heute teilweise ein Parkplatz erstreckt, ist nur dieser Grabstein übrig. Für ihn wurde eigens eine Halterung angefertigt.
Zeugnis jüdischen Lebens in Seelow: Vom Friedhof Hinterstaße, auf dem sich heute teilweise ein Parkplatz erstreckt, ist nur dieser Grabstein übrig. Für ihn wurde eigens eine Halterung angefertigt.
© Foto: Ulf Grieger
Zu den Relikten aus den 1930er-Jahren gehört auch das Modell eines Segelflugzeugs, um davon zu berichten, dass an der Oderbruchkante bei Seelow auch ein Fliegerkorps der Hitlerjugend (HJ) geübt hatte. Eine Marine-Uniform der HJ, die in Müncheberg die Zeiten überdauert hat, findet sich ebenso wie Luftschutzeinrichtung von 1938.
Ein Modell der Luftbeobachtungsstation Lebus und Relikte vom Außenlager des KZ Theresienstadt im Wulkower Wald bei Neuhardenberg werden gezeigt. Zum größten Exponat gehören Panzerteile des Typs Panther, die bei Gusow gefunden wurden und die von dem Durchbruch der Roten Armee bei der Schlacht um die Seelower Höhen erzählen. „Der Krieg spielt aber hier eine untergeordnete Rolle“, betont Thomas Drewing, es gehe immer um die regionale Geschichte.
So auch bei der Betondeckung für Schützenlöcher, die von der Wriezener Firma Krautwurst&Feise noch in den letzten Kriegstagen, am 9. April 1945, gegossen worden waren und an die Oderfront geschafft wurden. Nach dem Krieg wurde daraus ein Ententrog, zeigt Thomas Drewing die Schleifspuren an der Kuppel, die vom Transport über die Dorfstraße zeugen.
Von Flucht und Vertreibung erzählen die Exponate, von vielen Einzelschicksalen. Auch die eigene Familie sei dabei nicht ausgenommen, zeigt Thomas Drewing einen Spind, den die aus Soldin, heute Myślibórz, vertriebene Familie Drewing lange Zeit genutzt hatte. Eine alte Artillerie-Protze wurde von einem Neubauern aus Worin für die Feldarbeit umgebaut. Ein polnischer Heimkehrer hat nach der Zwangsarbeiter seinen groben Arbeitsmantel zurückgelassen.
Seelower Geschichts-Station: Das Ensemble am Bahnhof Seelow ist attraktiv und soll weiter entwickelt werden.
Seelower Geschichts-Station: Das Ensemble am Bahnhof Seelow ist attraktiv und soll weiter entwickelt werden.
© Foto: Ulf Grieger
Und dann künden auch schon viele Exponate vom Beginn der DDR, vom Wiederaufbau und dem regen kulturellen Leben mit der Gründung von Sportgruppen, Chören, dem Landfilm und vielem mehr.

Fotos auf den Fensterscheiben

Im großen Foyer des Museums stellt sich der Verein selbst vor, zeigt, wie er seit Jahren arbeitet. Dazu dienen auch die großen, alten Bahnhofsfenster, in die Fotofolien eingeklebt sind. Die Fotos berichten von Erkundungsarbeit in Gewässern und Wäldern, von Aktionen wie dem Friedenswald mit Ben Wargin oder der Gestaltung des Areals der Derfflinger Eich in Gusow. „Dieses Museum wird nie ganz fertig sein, wir ändern immer mal wieder die thematische Ausrichtung“, erklärt Thomas Drewing.
Im Museum gibt es am Sonnabend, Sonntag, 25. und 26. März, jeweils von 14 bis 16 Uhr öffentliche Führungen.