Mocca, Soljanka und modäne Eisbecher gibt es im „Cafe Moskau“ in Berlin-Mitte schon lange nicht mehr. Nur der in Originalgröße nachgebaute Sputnik auf dem Dach und das Mosaik mit „Szenen aus dem Leben der Völker der Sowjetunion“ erinnern heute noch an die Ursprünge des einstigen DDR-Nationalitätenrestaurants.
Das ist schon lange eine Event-Location in deutsch-amerikanischem Privatbesitz, ohne Verbindungen zu Russland. Und so hat man am Donnerstagnachmittag (23. Februar) die Leuchtbuchstaben einfach abgeklebt und für die kommenden Tage überschrieben. Anlässlich des ersten Jahrestages des Überfalls Russlands auf die Ukraine verwandelt die Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit Partnerorganisationen wie zum Beispiel den deutschen Vertretungen von Europaparlament und Kommission das geschichtsträchtige Cafe Moskau kurzzeitig ins Cafe Kyiv.
Kunst, Geschichte und ukrainische Küche
Unter dem Motto: „Wir wählen die Freiheit finden am Montag, den 27. Februar einen Tag lang Workshops, Diskussionen und Filmvorführungen statt. „Es geht um Freiheit, Europa, Sicherheit und den Wiederaufbau. Über Kunst, Geschichte, Filme und Küche wollen wir die Ukraine neu kennenlernen und ihre vielfältigen Stimmen hören“, heißt es in der Ankündigung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Das Programm reicht von den Perspektiven einer neuen deutschen und europäischen Ostpolitik bis zu den Erzählungen einer ukrainischen Kämpferin aus dem belagerten Asow-Stahlwerk. Auch die einzelnen Räume des zweistöckigen Gebäudes am U-Bahnhof Schillingstraße werden dabei nach ukrainischen Städten wie Donetsk, Maripol, Kharkiv benannt. Café-Umbenennung und Aktionen, die am Freitag mit dem Start einer Antikriegsdemo beginnen, sind allerdings nur von kurzer Dauer.
Multifunktionale Tagungs- und Event-Location
Doch was findet in dem Berliner Architekturdenkmal mit dem roten Marmorboden sonst statt, wenn es nicht gerade als politischer Kunstraum genutzt wird? Das Cafe Moskau wird heute als „multifunktionale Tagungs- und Event-Location mit 2.600 Quadratmetern Funktionsfläche auf zwei Etagen“ angepriesen.
Mithilfe einer virtuellen 360-Grad-Tour können potenzielle Nutzer einen Blick in einige der insgesamt elf Räume werfen, die für Tagungen und Partys mit bis zu 1.600 Gästen, aber auch kleinere Familienfeiern und Ausstellungen vermietet werden. Im Inneren erinnert nur noch an die Blütezeit des DDR-Vergnügungsortes vor der Wende.
Der Prestigebau wurde 1961-1964 nach Entwürfen von Josef Kaiser als Zentrum des ersten sozialistischen Wohnkomplexes an der damaligen Stalinallee errichtet. Insgesamt gab es fünf Nationalitätenrestaurants der sogenannten Bruderländer der ehemaligen DDR. Zum Restaurant Moskau gehörten unter anderem eine Teestube, eine Nachtbar, ein Restaurant im Obergeschoss, sowie ein Tanzcafé.
Vor allem letzteres blieb den Berlinern und Brandenburgern bis heute im Gedächtnis und bürgerte sich im allgemeinen Gedächtnis unter dem Namen „Cafe Moskau“ ein.
Die sowjetischen Brüder sah man nach der Eröffnung 1964 dort allerdings eher selten. Eher waren es die Soldaten der anderen drei Siegermächte, die in den 1970er- und 80er-Jahren an der Grenze ihre West-Mark zum Kurs von 1:7 eintauschten, sich dreigängige Menüs für 15 Ostmark genehmigten und reichlich Wodka und Cocktails ordern konnten.
Doch neben West-Besuch, Prominenten und Diplomaten begehrte auch das normale DDR-Volk Zutritt, wenn auch der Kampf um Tisch und Sitzplätze im ewig vollen Haus hart war. Die ersten Schlangen vor dem „Moskau“ gab es schon um 15 Uhr, wenn die Tür zum kostenlosen „Tanztee“ geöffnet wurde. In der Kellerbar wurde dann bis zum Morgengrauen weitergetanzt. Neben dem Russischen Salon sowie der Natascha-Lounge gab es übrigens auch einen „Ukrainischen Salon“.
Leerstand und wilde Partys nach der Wende
In den Jahren 1982 und 1987 erfolgten größere Umbauarbeiten, bei denen hölzerne Verkleidungen und Wandschmuck aus Meißener Porzellan die vorherige eher einfache Gestaltung ersetzten. Die transparenten und lichtdurchfluteten Räume der 1960er-Jahre wurden unterteilt und in der Höhe reduziert, die Räume wärmer und gemütlicher gestaltet.
Nach der politischen Wende ging der HO-Vorzeigebetrieb an die Treuhand über. Rund zehn Jahre stand das Haus leer. Mobiliar wie die gepolsterten Stahlrohrstühle verschwand spurlos. Der Restaurantbetrieb wurde 1994 eingestellt. Das Haus fiel in einen Dornröschenschlaf, bis es die Techno-Szene entdeckte und im Keller bis 1997 wilde WMF Partys mit teilweise 1500 Gästen feierten. Auch die sonntäglichen GMF-Schwulen-Partys gelten bis heute als legendär.
Wiedereröffnung mit Erotikmesse
Nach weiteren Jahren des Leerstandes, Verfall und Teilsanierungen durch einen neuen Betreiber wurde das Haus im Jahre 2002 mit einer Erotikmesse wiedereröffnet. 2007 übernahm die deutsch-amerikanische Nicolas Berggruen Holdings GmbH das Denkmal, ließ es sanieren und den alten Charme der 60er-Jahre wiederherstellen.
Das Interieur des Kellerklubs mit Tanzfläche, zwei Bars und einer separaten Raucherlounge wurde vom Berliner Architekten-Team Karhard gestaltet, der auch die Panorama Bar im Berghain entworfen hat. Im „Avenue Club“ feierten unter anderem die Fußballer des FC Bayern 2014 sowie ein Jahr später der FC Barcelona ihre Pokal- und Champions-League-Siege.
Derzeit finden im Moskau-Keller regelmäßig „Berlins größte 16+ Ferien-Partys“ sowie Konzerte für ein eher junges Publikum statt. Im separat gelegenen, aber direkt angeschlossenen „Salon Barbette“ kann man dagegen zu chilliger Musik von 17 bis 24 Uhr unter anderem Humboldt Gin mit Indian-Tonic-Water trinken, und die Filmszene beobachten, die Abends vom gegenüberliegenden Kino in die Bar hinüberschwappt
Im Cafe Moskau selbst tanzten vor wenigen Tagen Schauspieler und Filmschaffende wie Heike Makatsch, Kida Ramadan und Detlev Buck bei der noblen Bulgari-Party hinter goldenen Fadenvorhängen zu „Saturday Night Fever.“
Umbenennung in „Cafe Kyiv“ nur kurzzeitig
Die Umbenennung ins Cafe Kyiv wird aber alleine schon wegen des Denkmalschutzes nur vier Tage andauern, sagt Kristin Wesemann von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Man sei mit der Kunstaktion ja auch nur zu Gast. Aber auch die derzeitigen Pächter und Betreiber, die Cafe Moskau GmbH, ein junges Team mit 20 Mitarbeitenden, sieht eine Namensänderung eher nur als temporäres Zeichen an.
„Zu Beginn des Angriffskrieges haben wir darüber nachgedacht und wurden in zahlreichen Mails und Google-Rezensionen mit teils unschönen Worten dazu gedrängt“, heißt es in einem Interview, das die Konrad-Adenauer-Stiftung auf der Aktion-Webseite veröffentlicht. „Das Gebäude besteht allerdings seit beinahe 60 Jahren, ist ein gelistetes Denkmal und ein Teil der Karl-Marx-Allee, die auf der Vorschlagsliste für das Unesco-Weltkulturerbe steht.“
Geschichten aus dem Cafe Moskau
Liebe Leserinnen und Leser, haben Sie eigene, ganz besondere Erinnerungen an das „Café Moskau“ in Berlin? Dann schreiben Sie uns gerne ein paar Zeilen dazu unter dem Stichwort „Cafe Moskau“ unter brandenburg@moz.de .