Nach einem abgesagten Flüchtlingsgipfel und einem, bei dem die Landräte und Oberbürgermeister dem Innenminister davonliefen, fand am Mittwoch (07.06.) ein neuer Versuch statt, die aktuellen Problem zu klären. Diesmal zog sich Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) das Thema auf den Tisch. Noch kurz vor dem Treffen war aus der Runde der Landräte zu hören, dass auch dieser Flüchtlingsgipfel platzen könnte.
Zwar wurde das vorbereitete Papier nicht als Vereinbarung beschlossen, sondern nur als Arbeitspapier zur Kenntnis genommen. Aber immerhin gelang es Woidke alle bei der Stange zu halten. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD) soll nun in den kommenden Wochen alle noch offenen Fragen abarbeiten.

450 Flüchtlinge pro Monat weniger

  • Vereinbart wurde, dass ab 1. Juli bereits (bislang war von 1. August die Rede) keine Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive mehr auf die Kommunen verteilt werden. Familien mit Kindern sind von der Regelung ausgenommen. Laut Woidke wird dadurch die Zahl der Flüchtlingszuweisungen an die Kreise und kreisfreien Städte um 450 Personen pro Monat verringert. Die betroffenen Flüchtlinge werden stattdessen in den Erstaufnahmeeinrichtungen (ZABH) bleiben.
  • Die Verweildauer wird von derzeit sechs Monaten auf 18 Monate ausgeweitet. Auch das war mehrfach schon angekündigt worden. Ob der Zeitraum auch 24 Monate betragen kann, soll die Arbeitsgruppe in der Staatskanzlei prüfen.
  • Während des längeren Aufenthaltes in der ZABH soll den Flüchtlingen die Möglichkeit zum Spurwechsel angeboten werden, das heißt: durch Qualifizierungen auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und damit doch noch eine Bleibeperspektive zu erlangen. Wer nicht auf die Angebote eingeht, soll zur Rückkehr in sein Heimatland bewegt werden.
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Frankfurt und Eisenhüttenstadt hoffen auf neue Regeln

  • Die drei Städte mit den Erstaufnahmeeinrichtungen (Eisenhüttenstadt, Frankfurt und Zossen-Wünsdorf) sollen entlastet werden, in dem die Zahl der in den Landeseinrichtungen lebenden Flüchtlinge auf die Zuweisungen des Landes angerechnet werden. In welchem Umfang, das soll die Arbeitsgruppe klären.
Im Bildungsbereich hätte sich der Städte- und Gemeindebund offenbar mehr Landesgeld für den Bau von Kitas und Schulen gewünscht. Der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Oliver Hermann (Bürgermeister von Wittenberge), sprach ausdrücklich von mehr Geld für alle – nach dem Gießkannenprinzip. Woidke stellte klar, dass es schon drei Förderprogramme des Landes für diese Zwecke gibt und der Haushalt bis Ende 2024 schon beschlossen ist. Größere Städte, könnten aber noch gesonderte Hilfen erhalten – auch darüber wird verhandelt.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, hier die Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt, sollen ab Juli Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive bis zu 18 Monate bleiben, um die Kommunen zu entlasten.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, hier die Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt, sollen ab Juli Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive bis zu 18 Monate bleiben, um die Kommunen zu entlasten.
© Foto: Patrick Pleul/dpa
Die Runde einigte sich darauf, dass Woidke kommende Woche beim nächsten Flüchtlingsgipfel der Länder mit dem Bundeskanzler darauf dringt, in Europa die Ausschreibungsgrenzen für Bauaufträge anzuheben, damit Schulbauten oder Reparaturen, aber auch die Errichtung von Unterkünften unbürokratischer vonstattengehen kann.

Lockerungen beim Kita-Personal

Bildungsminister Steffen Freiberg kündigte gegenüber diesem Nachrichtenportal an, dass für die Personalgewinnung in Kitas die Zulassung der Berufsanerkennungen ausgeweitet werden soll. Andere Bundesländer hätten längst nicht so strenge Vorgaben an die Erzieher. Außerdem seien auch multiprofessionelle Teams in Kitas denkbar.
Für den Gipfel beim Kanzler erhielt Woidke den Auftrag, gemeinsam mit seinen Ministerpräsidenten-Kollegen für eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU einzutreten, für die bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen und für verstärkte Rückführungen vom Menschen ohne Bleibeperspektive – „ohne Wenn und Aber“, wie es der Vorsitzende des Landkreistages, Siegurd Heinze (Landrat von Oberspreewald-Lausitz) formulierte. Selbstredend soll Woidke aus dem Kanzleramt auch mehr Geld für die Kommunen mitbringen. Die im Mai zugesagte eine Milliarde Euro – auf Brandenburg entfallen davon 30 Millionen – könne nur der Anfang sein.

Flüchtlingszahlen liegen weit unter der Prognose

Das Sozialministerium hat inzwischen die Ausschreibung für einen zentralen Dolmetscherpool abgeschlossen. Die vom Land finanzierten Experten in rund 30 Sprachen sollen den Kommunen zur Verfügung stehen für Übersetzungen bei Behördengängen, Arztbesuchen oder Informationen im Bereich Bildung.
Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) erklärte am Mittwoch, dass in den ersten fünf Monaten 5452 Flüchtlinge nach Brandenburg gekommen sind. Davon waren laut Sozialministerium rund 400 Menschen aus der Ukraine. Im letzten Monat waren es nur vier. Laut Nonnemacher könne sich das angesichts des zerstörten Staudamms im Süden der Ukraine schnell ändern. Erwartet worden waren zu Beginn des Jahres insgesamt 10.730 Flüchtlinge für den Zeitraum Januar bis Ende Mai. Die bisherige Prognose hatte den Kreisen mitgeteilt, sich auf rund 26.000 Flüchtlinge im Jahr 2023 einzustellen.
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Ob diese Prognose nach unten korrigiert wird, ließ Nonnemacher zunächst offen. Die Koalitionspartner warnen davor, weil anderenfalls die Bereitschaft der Kommunen nachlasse, neue Unterkünfte zu errichten. Dafür hat die Landesregierung 49 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und die gleiche Summe noch einmal für 2024. Aktuell, so heißt es aus der Landesregierung, sei nicht das Geld das Problem, sondern die Frage, in welchen Kommunen derartige Neubauten noch auf entsprechende Akzeptanz treffen. Vor Ort gibt es inzwischen auch Gliederungen der Regierungsparteien, die gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften stimmen.

Wie es in der Koalition weiter geht, ist offen

Entsprechend wichtig war es für Woidke, einen Schulterschluss mit den Landräten und Oberbürgermeistern hinzukriegen. Dabei blieb die Frage offen, warum er sich das Thema nicht schon längst auf den Tisch gezogen hat. Unklar bleibt, ob damit auch in der Koalition vor der Sommerpause Frieden einkehrt. Dort beharken sich die drei Partner öffentlich in Fragen der Grenzsicherung. Beim Frühlingsempfang der Grünen im Landtag griff Fraktionschefin Petra Budke in dieser Woche den anwesenden CDU-Vorsitzenden Jan Redmann frontal an und warf ihm vor, in der Flüchtlingspolitik am rechten Rand zu fischen.