Die Bilder, die Dr. Sarah Hedtrich an die Wand wirft, lassen erschaudern. Die Haut der abgebildeten Patienten ist entweder mit offenen Wunden und Blasen übersäht oder flächendeckend so verhornt und verschuppt, dass es schon unmenschlich wirkt.
„Die Erkrankten fühlen sich entstellt, der Wasserverlust über die Haut ist groß, insbesondere bei Neugeborenen, was lebensgefährlich werden kann“, erklärt die Medizinerin bei einem Vortrag im Institute of Health der Charité (BIH), nur ein paar Schritte von der Berliner Museumsinsel entfernt. Eine Therapie für die seltene Fischuppenkrankheit gibt es bisher nicht. „Die Betroffenen müssen teure Cremes und Salben kaufen, ständig die Verbände gewechselt bekommen und täglich bis zu zwei Stunden Ölbäder nehmen“, berichtet Hedtrich.
Genterapie gegen Haut- und Lungenkrankheiten
Um ihnen, aber auch Patienten mit anderen entzündlichen Haut- und Lungenkrankheiten zu helfen, forscht die Wissenschaftlerin gerade an einer Behandlungsmethode, mit der das fehlerhafte Genom, das die Krankheit auslöst, durch eine korrekte Kopie ersetzt wird. Hedtrich, die in Leipzig Pharmazie studiert und an der Freien Universität (FU) Berlin promoviert hat, ist nur eine von mehreren BIH-Experten, die derzeit in Berlin gemeinsam mit Charité-Ärzten Gen- sowie Immun-Therapien entwickeln.
Dabei werden den Patienten Gene entnommen, im Reagenzglas repariert und wiedereingesetzt. Hedtrich, die schon in München, Boston und Vancouver geforscht und gelehrt hat, hofft, so künftig auch die unheilbare wie todbringende Erbkrankheit Mukoviszidose in den Griff zu bekommen, bei der die Patienten unter extrem zähem Schleim in der Lunge leiden.
Derzeit geht es nur noch darum, wie die reparierten Gene über Laser oder kleine Löcher in die Haut zielgerichtet zurückgeschossen werden können. Hedtrich und ihr Team befinden sich dabei in der präklinischen Phase, in der Aus- und Nebenwirkungen getestet werden. So müssen sie zum Beispiel sicherstellen, dass es nicht zu einer Veränderung der DNA der Patienten kommt.
Damit dabei weder Mensch noch Tier zu Schaden kommen, arbeitet sie unter anderem mit dreidimensionalen Haut-Modellen, die sie aus Zellen von Spendern züchtet. „Viele Arzneimittelentwicklungen scheitern daran, dass man eben nicht einfach von Ergebnissen, die man an Mäusen oder Ratten gewonnen hat, auf den Menschen schließen kann“, erklärt Hedtrich.
Killerzellen gegen Krebs
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Michael Schmück-Henneresse, der ebenfalls weitestgehend auf Tierversuche verzichtet. Der Gruppenleiter des BIH Center für Regenerative Therapien will herausfinden, wie man im Labor veränderte T-Zellen bei Autoimmunkrankheiten, Transplantationen sowie Krebs einsetzen kann.
Derzeit experimentiert er nicht nur mit Killerzellen, die gezielt Krebs-Tumore angreifen und vernichten können, sondern entwickelt eine Therapie, die zum Beispiel die Lebensqualität von Diabetes -Patienten nach einer Nierentransplantation erhöhen könnte. „Damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird, müssen die Patienten normalerweise bis zu 30 Tabletten am Tag schlucken, die das eigene Immunsystem unterdrücken“, erklärt der Forscher. Doch die Medikamente schädigten die neue Niere. Als Nebenwirkungen seien Entzündungen bis hin zu Tumoren bekannt.
Neue Erkenntnisse zur Blasenkrebs-Therapie
Bei der neuartigen Immun-Therapie seien nach einer Organ-Transplantation nur noch zwei Tabletten täglich nötig. „Die meisten Nebenwirkungen fallen weg“, berichtet Schmück-Henneresse, der die Behandlungs-Kosten für die einmalige Therapie auf 320.000 Euro schätzt.
Doch der Berliner Forscher hat mit seinem internationalen Team auch eine Entdeckung gemacht, die dem Gesundheitssystem auch viele Kosten und Blasenkrebs-Patienten viel Leid ersparen könnte: Über zwei Komponenten im Tumorgewebe kann er schon bei der Diagnose erkennen, bei welchem Patienten eine Chemotherapie anschlägt und bei welchem nicht.
„Ein solches personalisiertes Vorgehen würde dem Patienten nicht nur die Nebenwirkungen ersparen, sondern voraussichtlich auch die Lebenschancen erhöhen, weil so schneller die nötige OP durchgeführt werden würde“, erklärt der Wissenschaftler. Bevor sein Nachweis allerdings im Klinikalltag angewendet werden darf, sind noch weitere Studien nötig, die die Ergebnisse unabhängig bestätigen.
Die erste Zulassung für ihre klinischen Studien erwartet Professorin Regine Heilbronn 2026, die gemeinsam mit Wissenschaftlern der Charité sowie der Medizinischen Universität Innsbruck im vergangenen Sommer die EpiBlok Therapeutics GmbH gegründet hat. Das Berliner Start-up entwickelt gerade eine Gentherapie, mit deren Hilfe epileptische Anfälle dauerhaft unterdrückt werden können.
Regenerative Therapien für Muskelerkrankungen
Ein weiterer Hoffnungsträger für Patienten bislang unheilbarer Krankheiten ist auch das Start-up MyoPax. Die Ausgründung der Charité und des Max Delbrück Centers in Buch entwickelt mit innovativen Stammzelltechnologien regenerative Therapien für Muskelerkrankungen.
Im Rahmen einer klinischen Studie werden mit dem Verfahren demnächst unter anderem Kinder behandelt, die durch einen Gen-Defekt ohne funktionierende Schließmuskel an der Blase geboren werden und denen lebenslange Inkontinenz droht. „Die einzige Möglichkeit war bisher eine großflächige Operation vor dem sechsten Lebensjahr, die die Blase meist abschließt. Der Urin kann dann nur über einen Katheter abgelassen werden“, erklärt Unternehmens-Gründerin Verena Schöwel-Wolf, die selbst 15 Jahre lang als Ärztin in der Charité-Hochschulambulanz schwere Muskelerkrankungen behandelt hat.
Heilung per Gen-Spritze
Bei dem von ihr entwickelten Verfahren werden dem Patienten körpereigene Stammzellen entnommen, repariert und dabei die positiven Eigenschaften so vermehrt, dass sie, nach dem sie dem Patienten in den geschädigten Muskel gespritzt werden, diesen reparieren. Die neuartige Methode könnte in Zukunft nicht nur das Leiden von Menschen, die nicht mehr selbstständig essen und atmen können, lindern, sondern auch in der Unfall- und Altersmedizin eine große Rolle spielen, glaubt die Wissenschaftlerin.
Um auf Nummer sicher zu gehen, führen Schöwel-Wolf und MyoPax-Mitgründerin Simone Spuler die ersten Versuche nicht in Nähe von Organen, sondern im Armmuskeln durch. „Sollte die Behandlung irgendeine Immunreaktion auslösen, wäre das auf jeden Fall händelbar“, erklärt Verena Schöwel-Wolf.
Risiken der Gentherapien
Denn noch ist zu wenig über Nebenwirkungen und vor allem die Langzeitfolgen von Gentherapien bekannt. Die ersten Forschungen starteten vor 30 Jahren in den USA. Im Rahmen der ersten klinischen Studie in den 1990er-Jahren hatten Kinder mit einem schweren Immundefekt eine Gentherapie erhalten, die sie zunächst von ihrer Krankheit befreite.
Statt isoliert in einem Krankenzimmer bleiben zu müssen, durften sie wieder mit anderen auf dem Spielplatz toben. Doch nach wenigen Jahren erkrankten einige der jungen Patienten an Leukämie. Der behandelnde Arzt aus Frankreich rief das Team um den Onkologen Christof von Kalle, heute einer der führenden Köpfe des Berliner BIHs, und seinen kürzlich verstorbenen Mitstreiter Manfred Schmidt zur Hilfe. Beide stellten fest, dass die sogenannte „Genfähre“ das therapeutische Gen genau neben ein Krebs-Gen eingefügt hatte, das dadurch aktiviert worden war.
Behandlung löste Blutkrebs aus
Auch in Deutschland wurden an der Medizinischen Hochschule Hannover ab 2006 zehn Jungen mit dem lebensbedrohlichen Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS) mit einer Gentherapie behandelt. Auch sie waren zunächst geheilt, erkrankten aber einige Jahre später ebenfalls an Blutkrebs. Drei von ihnen starben.
„Inzwischen sind wir diesbezüglich natürlich wesentlich weiter“, berichtet Christof von Kalle, der sich das Thema Sicherheit auf die Fahnen geschrieben hat und dafür schon ausgezeichnet wurde.
Über ein neues, von ihm und Schmidt entwickeltes Sicherheits-Verfahren könnten die therapeutischen Gene inzwischen viel gezielter eingesetzt werden. „Dazu ist es auch immer häufiger möglich, nur noch exakt die falsche Stelle innerhalb des Gens herauszuschneiden und durch die richtigen Buchstaben oder Genabschnitte zu ersetzen“, erklärt der 60-Jährige.
Zentrum für Gen- und Zelltherapie geplant
Dass Zell- und Gentherapien weltweit ein großes Wachstumspotenzial haben, haben auch große Firmen wie Bayer erkannt. Das Pharma-Unternehmen hat 2022 gemeinsam mit der Charité und der Stadt Berlin eine Absichtserklärung zur Errichtung eines Zentrums für Gen- und Zelltherapie unterzeichnet.
Das „Leuchtturmprojekt der Gesundheitswirtschaft“ soll am Berliner Nordhafen, dem Standort der Bayer-Zentrale, errichtet werden und laut Stefan Oelrich vom Vorstand der Bayer AG den „Transfer von Gen- und Zelltherapien aus Wissenschaft und Forschung in die Patientenversorgung beschleunigen.“
Forschung im Podcast
Weitere Informationen zu neuartigen Verfahren gibt es auch in einer Podcast-Reihe „Aus Forschung wird Gesundheit“ des Berlin Institute of Health der Charité (BIH) im Internet unter www.bihealth.org/
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