Plakate mit Friedenstauben, dazu der Ruf nach einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und Friedensverhandlungen mit Russland: Trotz Schneeregens und Kälte sind am Samstag in Berlin viele Tausend Menschen einem Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zu einer Kundgebung unter dem Motto „Aufstand für den Frieden“ gefolgt. Die Linke-Politikerin und die Frauenrechtlerin wollten damit ihre Forderungen aus ihrem umstrittenen „Manifest für Frieden“ untermauern.
Die Polizei sprach nach der Kundgebung am Brandenburger Tor von etwa 13.000 Teilnehmern - die Veranstalter bezifferten die Zahl auf
50.000. „Der Verlauf war weitgehend störungsfrei“, bilanzierte ein Polizeisprecher am Sonntag. 1400 Kräfte seien im Einsatz gewesen. Vorab waren wegen des erwartbar breiten politischen Spektrums der Demonstranten Konflikte befürchtet worden. Die Veranstaltung stieß teilweise auf heftige Kritik, nicht nur, weil sich vereinzelt Rechte und Rechtsextreme unter die Teilnehmer mischten. Kritiker warfen Schwarzer und Wagenknecht Naivität und Irreführung vor.
Demo in Berlin – Wagenknecht fordert Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine
Manifest für Frieden
Demo in Berlin – Wagenknecht fordert Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine
Berlin
Auf der Bühne forderte Wagenknecht, teils vom Publikum bejubelt, erneut einen Stopp von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine und mahnte Friedensverhandlungen an. Es gehe darum, „das furchtbare Leid und das Sterben in der Ukraine zu beenden“ und Russland ein Verhandlungsangebot zu unterbreiten, „statt einen endlosen Abnutzungskrieg mit immer neuen Waffen zu munitionieren“. Es gelte, das Risiko einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa und womöglich die Welt zu bannen. Dieses Risiko sei „verdammt groß“.

Robert Habeck übt scharfe Kritik

Ebenso wie andere Politiker der Ampel-Koalition hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorab scharfe Kritik an den Forderungen von Schwarzer und Wagenknecht geübt. Sie wollten etwas als Frieden verkaufen, das ein „imperialistischer Diktator“ Europa aufzwinge, sagte der Vizekanzler am Freitagabend in der ARD. Wenn sich das durchsetze, wäre das nach seinen Worten eine Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die nächsten Länder zu überfallen. „Das ist kein Frieden, das ist eine Chimäre, die da aufgebaut wird, das ist eine politische Irreführung der Bevölkerung.“
Ukraine-Flagge am Sowjetischen Ehrenmal angebracht
Ein Jahr Ukraine-Krieg
Ukraine-Flagge am Sowjetischen Ehrenmal angebracht
Grünheide
Zahlreiche weitere prominente Politiker auch von SPD und Linken hatten sich von dem Demo-Aufruf abgegrenzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten deutlich gemacht, dass sie die Überzeugung im „Manifest für Frieden“ nicht teilten. Im Internet erklärten bis Sonntagmittag hingegen mehr als 670.000 Menschen ihre Zustimmung zum „Manifest“.
Ihre Sorgen und ihren Grund für die Teilnahme brachte eine ältere Frau vor Ort so auf den Punkt: „Es geht um unsere Welt. Wenn wir nicht gegen den Krieg was tun in der Ukraine und in Russland, dann kommt es zum Dritten Weltkrieg. Und wahrscheinlich zum Atomwaffenkrieg - und dagegen sind wir ganz strikt.“
Frauenrechtlerin Schwarzer nannte es auf der Bühne „durchaus richtig, den von Russland brutal überfallen Ukrainern mit Waffen zur Seite zu stehen - zunächst, um sich zu verteidigen“. Deshalb sei es nun richtig, „nach einem Jahr Tod und Verwüstung nach dem Ziel dieses Krieges zu fragen und nach seiner Verhältnismäßigkeit.“ Wagenknecht rief zu einem „Startschuss für eine neue, starke Friedensbewegung“ auf. Neonazis und Reichsbürger hätten selbstverständlich auf der Kundgebung nichts zu suchen.
Greenpeace entzündet Kerzen für den Frieden – und wird angepöbelt
Mahnwache in Eberswalde
Greenpeace entzündet Kerzen für den Frieden – und wird angepöbelt
Eberswalde
Die Polizei sprach am Samstag von kleineren Handgreiflichkeiten am Rande der Veranstaltung. Zudem lieferte sich laut der Behörde eine Gruppe linker Gegendemonstranten eine lautstarke Auseinandersetzung mit dem Herausgeber des „Compact-Magazins“, Jürgen Elsässer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft das Magazin als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung ein. Ein Polizeisprecher sagte nach der Demo, die Polizei habe keine Kenntnis von Rechtsextremen vor Ort.
Vereinzelt waren auf Plakaten Medienkritik und Verweise auf die Corona-Politik zu lesen. Nach AfD-Angaben waren auch zahlreiche ihrer Mitglieder vor Ort. SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast teilte mit: „Rechtsextreme, Holocaustleugner und Unterstützer Russlands waren auf Schwarzers und Wagenknechts Demonstration. Das ist schlimm und schadet Deutschland. Nichts, was sich vor dem Brandenburger Tor abgespielt hat, hilft der Ukraine.“

Alice Schwarzer lobt „friedliche Stimmung“

Frauenrechtlerin Schwarzer sagte nach der Demo: „Es war eine so friedliche und fröhliche Stimmung. Keine parteigebundene Stimmung, keine Sektenstimmung. Da waren einfach Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.“ Natürlich könne sie nicht ausschließen, dass einzelne Rechte da gewesen seien, es könne sich dabei dann aber nur um eine verschwindende Minderheit gehandelt haben.
Demonstration für Frieden und gegen Waffenlieferungen in Frankfurt (Oder)
Ein Jahr Ukraine-Krieg
Demonstration für Frieden und gegen Waffenlieferungen in Frankfurt (Oder)
Frankfurt (Oder)
Vor Ort waren viele ältere Menschen zu sehen. Viele Slogans und Fahnen stammen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Gezeigt wurden außerdem Transparente der Linkspartei. Die Veranstaltung am Samstag war größer als die am Tag zuvor, als nach Angaben der Polizei mehr als 10 000 Menschen in Berlin gegen den Krieg demonstriert und Unterstützung der Ukraine gefordert hatten.
Für Verhandlungen fordert Russland unter anderem ein Ende westlicher Waffenlieferungen und das Einstellen von Kampfhandlungen. Das wohl Wichtigste aber ist die Anerkennung der von Russland völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebiete als russisch. Faktisch hieße das, dass die Ukraine mindestens ein Fünftel ihres eigenen Staatsgebiets aufgeben müsste - so viel ist derzeit von Russlands Armee besetzt.
Ein Jahr nach dem Einmarsch – Hunderte demonstrieren gegen Russlands Krieg
Ukraine-Demo in Frankfurt (Oder)
Ein Jahr nach dem Einmarsch – Hunderte demonstrieren gegen Russlands Krieg
Frankfurt (Oder)
Ukrainer weisen immer wieder darauf hin, dass ein vermeintlicher Frieden unter diesen Bedingungen das Ende der Souveränität ihres Landes bedeuten würde. Kiew setzt deshalb für Friedensgespräche den vollständigen Abzug von Russlands Truppen voraus sowie Reparationszahlungen und die juristische Verfolgung der für den Angriffskrieg Verantwortlichen in Moskau. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat aber Verhandlungen unter einem russischen Präsidenten Putin per se ausgeschlossen.