Die alte Dame sitzt am Rande des lichtdurchfluteten Aufenthaltsraumes der Ursulinen in Neustadt/Dosse und hört ukrainischen Gesängen zu. Noch fünf Ordensschwestern leben heute in den Räumen des ehemaligen Heiliggeistklosters und sind Zeuginnen, wie neues Leben in die Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen kommt.
1923, genau vor hundert Jahren, zogen die Ordensfrauen von Berlin-Zehlendorf ins Ruppiner Land und widmeten sich hier der Arbeit mit Kindern. Heute gibt es noch 30 Bewohner, die hier leben und betreut werden, alle im Erwachsenenalter, die Hälfte schon Rentner. Betreut vom angestellten Personal, nicht mehr von den inzwischen hochbetagten Ordensschwestern.

Grünheide bot ein erstes Willkommen

Am 9. Dezember vergangenen Jahres begann ein neues Kapitel im Haus. Ukrainische Waisenkinder und ihre Betreuer zogen hier ein. Vor einem knappen Jahr waren sie nach dem Überfall Russlands aus Einrichtungen für Kinder mit Beeinträchtigungen in der Region Riwne nach Deutschland geflohen. Innerhalb kurzer Zeit erklärte sich die Caritas des Erzbistums Berlin bereit, eine Unterkunft zu finden. Es wurde das Christian-Schreiber-Haus in Grünheide (Oder-Spree), ein Bildungshaus des Erzbistums. Das Projekt wurde auch von der Spendenaktion dieses Nachrichtenportals unterstützt. Inzwischen trägt das Bildungs- und Jugendministerium die laufenden Kosten.
Für die 28 Kinder und 11 Betreuer reichte der Platz in Grünheide jedoch auf Dauer nicht aus, berichtet Bernadette Feind-Wahlicht, die das Projekt für die Caritas betreut. So erfolgte Ende vergangenen Jahres der Umzug nach Neustadt. Endlich hatten auch die Betreuerinnen eigene Zimmer. Sie rotieren alle zwei bis vier Monate, um zwischenzeitlich zu ihren Familien zurückzukehren – und kommen dann wieder nach Deutschland, einige schon zum dritten Mal.

Vorbereitung auf den Schulbesuch

Für Ulrich A. Vowe, Geschäftsführer der Gesellschaft für soziale Teilhabe (die Ursulinen), ist der Trubel, den die ukrainischen Kinder ins Haus bringen, auch eine Rückkehr zu den Anfängen, als sich die Schwestern um behinderte Kinder kümmerten. Zwei Ukrainerinnen, die Deutsch schon in der Schule lernten und die Sprache inzwischen beherrschen, wurden als Dolmetscherinnen angestellt. Spielerisch lernen auch die Kinder im Alter von 5 bis 18 Jahre die deutsche Sprache. Bernadette Feind-Wahlicht, berichtet von einem blinden Jungen, der zuvor gar nicht sprach, in Grünheide dann aber anfing zu reden und zu singen. Eine Entwicklung, die von den Betreuern und allen Unterstützern als großer Erfolg angesehen wird.
Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) schaute sich in dieser Woche die neuen Unterrichtsräume an, die unter dem Dach des früheren Klostergebäudes eingerichtet wurden. Sie hat das Projekt von Anfang an begleitet und ist zum vierten Mal bei den Kindern. In kleinen Sitzgruppen wird es in den kommenden Monaten Unterricht geben. Ziel ist es, nach dem Sommer, die Kinder in die nahegelegene Prinz-von-Homburg-Schule zu integrieren.
Ganz wird das nicht gelingen, erklärte Bernadette Feind-Wahlicht. Einige Kinder benötigten eigentlich spezielle Angebote, die es in der Nähe nicht gibt. Eine Internatsunterbringung und damit eine Trennung von der Gruppe sei jedoch keine Option.
Formell ist vorgesehen, dass die Waisen aus dem Norden der Ukraine bis Ende des Jahres in Brandenburg und damit in Neustadt bleiben. Die Ansprechpartner vom ukrainischen Sozialministerium hoffen, sie dann zurückführen zu können. Seitens der Caritas heißt es, man werde weiter auf Sicht fahren. Insgesamt leben in Deutschland derzeit rund 3500 Waisenkinder aus der Ukraine.

Die Nähe zu den Gestüten nutzen

Ulrich A. Vowe freut sich jetzt erst einmal auf den Frühling. Dann können die Kinder sich auch mehr im Freien aufhalten und eventuell auch den angestammten Bewohnern beim Anbau von Obst und Gemüse helfen. Zu DDR-Zeiten war die Einrichtung fast ein Selbstversorger und noch heute kommt ein Großteil der täglich genutzten Lebensmittel aus dem großen Garten.
Mit Lotto-Mitteln aus dem Bildungsministerium sollen Spielflächen entstehen. Der Geschäftsführer hofft auch auf Unterstützung aus der Gemeinde, beispielsweise für Musikangebote. Eine Theatergruppe ist geplant, in der die alten und neuen Bewohner sich erproben können. Außerdem sind Kontakte zum Land- und Hauptgestüt in Neustadt schon aufgenommen worden, das die Kinder gern besuchen möchten.
Für die Einrichtung der Ursulinen ist der Aufenthalt der ukrainischen Waisenkinder auch ein Schritt in die Zukunft. Die Zusammenarbeit mit der Caritas wird vertieft und Ulrich A. Vowe hofft, mittelfristig neue ambulante Angebote und betreutes Wohnen anbieten zu können.
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