Nachhaltige Umweltkonzepte sind auch bei Konzerten groß im Kommen. AnnenMayKantereit plädieren für Drahtesel statt Autos als Anreisevehikel und erforschen im Rahmen von „Ticket to Ride“, wie sie ihre Konzerte umweltschonender gestalten können. Am Freitag Abend verlieren sie in der Wuhlheide in der Moderation kein Wort und bleiben in ihren Aussagen zurückhaltend. Aber eine Prideflagge auf der Bühne und die Wahl der rein weiblichen Vorband Friedberg setzen wichtige politische Zeichen.
Mit Friedberg erfüllt die Band ihre selbstauferlegte Frauenquote. „Ihr seids urviele“ freut sich Friedberg über die bisher größte Konzertlocation. Sie werden auch ein „Eisbär“-Cover singen.

Wohlfühlatmosphäre in der Wuhlheide

Im Anschluss eröffnen AnnenMayKantereit ihr Konzert singend: „Es gut, wieder hier zu sein“. Die Wohlfühlatmosphäre wird bleiben. Später wird das Ur-Trio Henning May, Christopher Annen und Severin Kantereit einen kleinen runden Tisch auf die Bühne stellen und Wein trinken. „Ach so, ey Wuhlheide. Auf Euch!“ Sie heben ihr Glas. An dem Tisch saßen die drei oft, um Lieder zu komponieren. Es folgt „Es ist Abend“. Mit auf der Bühne ist Sophie Chassée. Sie unterstützt mit viel Energie und Wumms das Männertrio seit letztem Jahr.

Der Typ von nebenan mit Whiskeystimme

Natürlich spielen AnnenMayKantereit auch den Gassenhauer „Pocahontas“ aus ihrem ersten offiziellen Studioalbum „Alles nix Konkretes“. Die Wuhlheide ist textsicher, so viel steht schonmal fest. Auch andere Frauen besingt die Band. Jenny („Jenny, Jenny“) und auch „Marie“. Doch so melancholisch Songs wie „Barfuß am Klavier“ und „Du bist anders“ auch klingen, so rau und bestimmt klingt die Stimme von Frontmann Henning May. May trägt Bluejeans, ein dunkles T-Shirt und schwarze Turnschuhe. Die mit den drei weißen Streifen.
May ist eigentlich der Typ, den man möglichweise schon irgendwo gesehen hat. Der Nachbar von nebenan mit krausem Haar, der irgendwie nie älter zu werden zu scheint. Doch wenn er singt, ist er ein anderer. Dann wird er wegen seiner Whiskeystimme mit Rio Reiser verglichen oder mit Tom Waits. Weswegen man ihm gerne zuhört. Oder nicht.

Ehrliche Songs mit viel Liebeskummer

An seiner Stimme scheiden sich die Geister: Henning May von AnnenMayKantereit
An seiner Stimme scheiden sich die Geister: Henning May von AnnenMayKantereit
© Foto: Susanne Gietl
Bei AnnenMayKantereit scheiden sich die Geister. „Unerträglich“ finden die einen seine Stimme, „das tue doch weh“ kritisieren ihn andere. Er singt mit viel Druck in der Stimme, nicht selten ist die Halsschlagader deutlich zu sehen. „Jeder Gesangslehrer, den ich hatte, hat mir gesagt: Du machst alles falsch,“ erklärt May auf Social Media. Ihm wurde damals gesagt, dass er niemals länger als ein halbes Jahr durchhalte. May singt, seit er 14 ist, heute ist er 31. „Wenn ihr knutschen wollt, ist jetzt der Zeitpunkt“. Es ertönt „Vielleicht vielleicht“, „Gegenwart“ und der Song „Oft gefragt“. Letzteren schrieb er über seinen alleinerziehenden Vater.
„Oft gefragt“ auf YouTube:
Empfohlener Inhalt der Redaktion

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich diesen mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Externer Inhalt

Sie erklären sich damit einverstanden, dass Ihnen externe Inhalte von Youtube angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.

Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dann tauchen die drei in der Menge unter und tauchen mit „Ozean“ mitten im Publikum auf. Viele Augen glänzen, viele Handys leuchten. May wendet sich den Berlinern zu. „Ich wüsste gerne, wie alt Ihr ungefähr seid“ und bittet das Publikum, die nach 1995 geboren sind, kräftig zu jubeln. Danach sind die vor-95er dran. Es sind eindeutig mehr. „Die alten Menschen“ so wie May können aber auch ganz gut feiern. Bei einer schmissigen Konzertversion von „Als ich ein Kind war“ schwingen viele begeistert die Hüften und klatschen im Balkanrhythmus.

Köln-Hymne mit Kölsch

AnnenMayKantereit haben neben sich auch Bläser und Streicher des Orchesters „La Chapelle“. Zusammengerechnet sind sie zu elft. Frauen und Männer gemischt. „3 Tage am Meer“, auch im Original mit dem Orchester eingespielt, wird so zu Panama für die Ohren. Vor der Köln-Hymne „Tommi“ stoßen die drei mit echtem Kölsch(-Bier) an. Ganz Wuhlheide-Berlin bewegt die Arme melancholisch-melodisch von links nach rechts nach links. „Die Spree ist viel kleiner als der Rhein“. Die Berliner Fans singen lauthals mit, Henning May übertönt sie mit gewohnt dunkler, dröhnender Stimme.
Artig bedankt sich die Band bei den „Leuten vom Haus“, den Securities und Sanitätern. Dann ist der Schwiegermuttermoment vorbei und May beendet das Konzert mit „Ausgehen“ und einem kleinen Seitenhieb auf Berlin: „Ihr geht bestimmt heute noch ins KitKat, aber jetzt, jetzt gehört ihr noch mir“. Alle singen ausgelassen, bis auch die letzten Töne verklingen. Wieder einmal hat die Band gezeigt, wo ihre Stärke liegt: Sie machen ehrliche Popmusik. Nicht mehr und nicht weniger.

Setlist AnnenMayKantereit

Es tut gut, endlich hier zu sein
Wohin Du gehst
Nur wegen Dir
Lass es kreisen
Pocahontas
Marie
Es ist Abend
Du tust mir nie mehr weh
Du bist anders
Vielleicht Vielleicht
Gegenwart
Oft gefragt
Ozean
Als ich ein Kind war
Jenny, Jenny
21, 22, 23
3 Tage am Meer
Ich geh heut nicht mehr tanzen
Barfuß am Klavier
Tommi
Ausgehen