Das muss Blink-182 erstmal jemand nachmachen. Die ersten Töne, die Mark Hoppus, Tom DeLonge und Travis Barker bei ihrem Konzert in der Berliner Mercedes-Benz Arena erklingen lassen, stammen aus „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Dem musikalischen Synonym für Bombast also. Noten, die wie keine anderen andeuten: Jetzt wird’s episch.
Und doch gelingt den drei Kaliforniern das Kunststück, die urzeitlich-wuchtigen Paukenschläge, die einst Stanley Kubrick für sein Weltraum-Epos „2001: A Space Odyssey“ gerade groß genug waren, mit ein paar schnellen Schlägen auf die Snare mühelos in den Schatten zu stellen.
Schon beim ersten Song fliegen die Bierbecher
Die Gitarre und der Bass von „Anthem Part Two“ müssen sich noch nicht mal dazu gesellen, da bricht in der Arena schon der kollektive Pogo los und die Euphorie lässt die Bierbecher in die Höhe schießen. Die Stoßrichtung an diesem Samstagabend? Steil nach oben. Spätestens nach dem direkt folgenden „The Rock Show“ kapieren das auch die Letzten hier.
Die „The Mark, Tom and Travis Show“, sie funktioniert auch 23 Jahre nach Veröffentlichung des gleichnamigen Live-Albums noch erstaunlich gut. Selbst die leise Sorge, in der Zwischenzeit könnte so etwas Ungeheuerliches wie ein Reifeprozess bei den drei um die 50-jährigen Herren eingesetzt haben, wird mit dem ausschließlich aus Kraft- und Fäkalausdrücken bestehenden „Family Reunion“ direkt im Keim erstickt.
Nach neun Jahren ist Tom DeLonge wieder Teil von Blink-182
Da steht Blink-182 also wieder im Original. Neun Jahre mussten Fans darauf warten. In der Zwischenzeit hat der aus-, wieder ein-, wieder aus- und schließlich nochmal neu eingestiegene Sänger und Gitarrist Tom DeLonge der Existenz von UFOs nachgeforscht, Bassist Mark Hoppus eine Krebserkrankung überstanden und Drummer Travis Barker nicht nur sein musikalisches Genie genreübergreifend unter Beweis gestellt, sondern auch noch eine der Kardashian-Schwestern geheiratet. Viel passiert also.
Von ihrer Kraft haben aber weder das Trio noch ihr Sound etwas eingebüßt. Genau dieser melodische, aus flickerndem Bass, nasalem Gesang und rasend schnellen Drumparts bestehende Sound scheint den Meisten im äußert textsicher mitsingenden Publikum schon in den frühen Nullerjahren ein treuer Begleiter gewesen zu sein. „What‘s My Again?“ ist eben nicht nur der Titel eines der größten Hits von Blink-182. Im Jahr 2023 ist es auch eine berechtigte Frage für Viele in der ausverkauften Friedrichshainer Arena.
Blink-182 waren willkommener Kontrast zu Britney Spears & Co.
Für Kritiker war Blink-182 selten mehr als eine Art Musik gewordener Pimmelwitz. Für Fans hingegen war die Band mit ihrem Hang zu ausgeprägter Selbstironie eine willkommene Abwechslung im Zeitalter generischer Popsternchen und Boygroups à la Britney Spears und Nsync. Das Trio, dessen Ursprünge bis ins Jahr 1992 zurückgehen, lieferte den alternativen Soundtrack für Mittelschichts-Sprößlinge, die bevorzugt mit dem Skateboard aus der Hofeinfahrt des elterlichen Vorstadthauses rollten.
Zwar dürften die meisten im Berliner Publikum mittlerweile häufiger mit dem Kinderwagen als dem Skateboard vor die Tür gehen, die jugendliche Unbeschwertheit der Songs, wie sie wohl nur Musiker schreiben können, die unter der Sonne Kaliforniens aufgewachsen sind, überträgt sich allerdings auch im Erwachsenenalter noch bestens. Ein Glück also, dass es mit Stücken wie „Dysentery Gary“, „Dumbweed“, „Feeling This“ oder „Violence“ zum größten Teil Material der älteren Alben ist, das das Trio in Berlin spielt. Dass Songs aus der weniger beachteten Matt Skiba-Ära, der für DeLonge einsprang, vernachlässigt wird, stört kaum.
Das Konzert in Berlin ist pure Pop-Punk-Nostalgie
Auf ihrer Welttournee präsentieren Blink-182 pure Pop-Punk-Nostalgie. Umso moderner fällt die Bühnentechnik aus. Laserstrahlen flirren zu „Aliens Exist“ durch die Arena – oder wie DeLonge sagt: „Ihr habt vielleicht mehr Talent, aber nicht unsere Laser“. Auch sonst wird an Flammen, Dampf und sonstiger der Decke entgegen gepusteter Pyro nicht gespart. Sogar ein aufblasbarer Krankenwagen schwebt an einer Stelle über dem Trio.
Und als würde das nicht schon genügen, lässt sich Travis Barker – ausgerechnet zu „Down“ – mitsamt Drumkit gleich selbst in die Höhe ziehen, wo er für mehrere Songs über den Köpfen seiner Bandkollegen trommelt. Was soll man sagen? Die Band, die mit ihren Parodie-Musikvideos einst perfekt ins MTV-Zeitalter passte, sie liefert auch heute noch eine verdammt gute Show ab.
„Diese Band und das Auf-der-Bühne-stehen haben mir das Leben gerettet... Zum zweiten Mal“
Die Rückkehr zur Original-Formation mit Tom DeLonge vergangenes Jahr ist die Erfüllung eines sehnlichen Wunsches zahlloser Fans von Blink-182. Und tatsächlich gibt die aktuelle Tour weiteren Grund zur Hoffnung. Den Eindruck von Altmusikern, die ein letztes Mal die Cash Cow melken wollen, erwecken Blink-182 jedenfalls nicht. Dafür hat das Trio sichtlich zu viel Spaß am Spielen. Das gilt nicht zuletzt für den wieder genesenen Mark Hoppus: „Diese Band und das Auf-der-Bühne-stehen haben mir das Leben gerettet... Zum zweiten Mal“, sagte er vor „Adam‘s Song“, ein Lied, das er einst in einer „Dunklen Phase“ schrieb.
Eine Band, die Live mehr Spaß macht als Blink-182, ist nicht einfach zu finden. Gut also, dass dieses Jahr noch ein neues Album erscheinen soll. Der vor einem Jahr veröffentlichte Song „Edging“, der ebenfalls Teil der gut zwei Dutzend Lieder langen Setlist war, verspricht viel Neues vom Alten. Wer auf dem Berlin-Konzert von Blink-182 war, das mit Klassikern wie „First Date“ und „All the Small Things“ fulminant endet, weiß, dass das nichts Schlechtes sein muss.