Am Dienstag läuteten die Ärzte ihre „Herbst des Lebens“-Konzerte in Potsdam ein. Wer die Hinweise auf dem Ticket aufmerksam gelesen hatte, wusste, dass das Konzert „diesmal ohne Hunde & Pferde“ stattfinden würde. Denn die waren ebenso wenig erlaubt, wie das Mitbringen von Nazis, Pyrotechnik oder sperrigen Gegenständen.
Vor 4500 Menschen spielten die Ärzte beim Potsdam Waschhaus Open Air, das sich dank Verkaufsbuden und viel Platz für alle Fans und strahlendem Wetter wie ein Sommer-Festival anfühlte. Stilecht wurden Currywurst und Pommes Frites verkauft, den dazu passenden Song („zu spät“) gab es aber ebenso wenig wie „Zitroneneis“. Denn Hits waren vorerst spärlich gesät. Stattdessen wühlten Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo „Rod“ Gonzalez tief im Repertoire. „Trick 17 M. S.“ hatten sie bis zu dieser Tour über 20 Jahre lag nicht mehr gespielt, auch „Einschlag“ ist ein seltenes Konzertjuwel.
Ärzte in Potsdam bieten astreines Unterhaltungsprogramm
Um Punkt 19 Uhr beginnen die Ärzte mit „Wer verliert, hat schon verloren“ drei Stunden astreines Unterhaltungsprogramm – inklusive Bluessolo von Rod Gonzalez, einem am Schlagzeug stehenden Bela B. mit unzähligen verschlissenen Drumsticks und einem von Farin Urlaub angeleitetem Konzertsport. Vom Scheibenwischer zu „Ich, am Strand“ bis zur gehockten „La-Ola-Welle“ mit Publikums-Metronom zu „Die Banane“ ist alles dabei. Auch die im Parkhaus „auf den billigen Plätzen“ bittet der Ärzte-Sänger, mitzumachen. In einem Bürohaus, das sich direkt neben der Bühne befindet, haben Fans ein improvisiertes Ärzte-Plakat mit Herzchen gebastelt. Farin Urlaub winkt ihnen freundlich zu. Mittlerweile steht er am rechten Bühnenrand, denn Rod und er hatten inmitten des Konzertes einfach Plätze getauscht.
Später hält jemand ein Plakat für „Omaboy“ hoch, was der Sänger zum Anlass nimmt, über das Alter und faltiges Fleisch im Tourbus zu philosophieren. „Ach das wisst ihr nicht,“ kommentiert er das Tourleben. „Rockstars werden wunderlich. Wir sind halt alle drei Nudisten geworden im Alter. Wir treffen uns an unseren freien Tagen auf Tour gerne in Nudistencamps.“ Viele Fans teilen den Humor und rufen: „Ausziehen, ausziehen, ausziehen“. Dabei ist ihnen klar, dass die Ärzte eigentlich nur ganz galant auf ihren eben erschienenen Bildband „Die Ärzte: Nackt im Wind – Die Berlin Tour MMXXII“ hingewiesen hatten.
Waschhaus Open Air: Publikumschor gegen Gauland
Ohnehin gelingen den Ärzten famose Überleitungen. Cat Stevens „Lady D`Arbanville“ fliesst über zu einer „Fck* AfD“-Ansage und „Our Bass Player Hates this Song“. Als der Song in der Band diskutiert wurde, war Rod Gonzalez` Einwurf, dass man sich als ehemalige Punkband nicht hinstellen könne und Menschen wie in „Sendung mit der Maus“ erklären könne, was Demokratie sei. Deshalb muss er beim Song auch nicht mitspielen. Dass Alexander Gauland nur zwei Straßen weiter wohnt, entgeht den Ärzten nicht. Mitten in „Doof“ ruft Urlaub: „Jetzt hör mal zu, Alex“ Alle singen: „Doof bleibt doof. Da helfen keine Pillen – nicht beim allerbesten Willen, denn … doof bleibt doof.“ Er ruft. „Alexander Gauland hör zu“. Der Publikumschor wird entschieden lauter.
Nach Rockbrettern wie „Herrliche Jahre“, „Perfekt“ und „Unrockbar“ verlassen die Ärzte die Bühne. Kurz darauf erscheint Farin Urlaub: „Zwei Stunden laut, jetzt mal ein bisschen leiser“, läutet er die Zugabe „Leben vor dem Tod“ ein. Er setzt sich im Schummerlicht auf einen Barhocker. Und dann plaudern die beiden Gründungsmitglieder über Fleiß. Bela B. ist zufrieden. „Ohne Fleiß kein Preis und ich habe reichlich Preise eingeheimst in meinem Leben, mir geht’s gut. Mir geht’s richtig gut. Finanziell. Und untenrum ist auch alles in Ordnung.“ Er berlinert wie immer, wenn er mit Farin spricht. Vor Jahren hatten sie mal in einer WG gewohnt.
Die Ärzte in Potsdam covern die Toten Hosen
Und dann stimmen die Ärzte nach „Deine Schuld“ den Tote-Hosen-Hit „eisgekühlter Bommerlunder“ an. Alle singen freudig mit, bis der Song in „Dinge von denen“ mündet. Auf der Checkliste fehlt dann eigentlich nur noch eines. Hits wie „Hurra“, „Junge“ – mit kurzer Italo-Hitunterbrechung – und „Schrei nach Liebe“. Auch die spielen die drei Punkrockgiganten noch. Um Punkt 22 Uhr ist alles vorbei und die Ärzte schicken alle mit dem Ärzte-„Schlaflied“ ins Bett. Nach drei Stunden werden wohl alle gut und glücklich schlafen und von ihren persönlichen Hits träumen.