Den Walnussbaum hat ein Freund vorbeigebracht, weil er wusste, dass Ilka Raupach mit Holz arbeitet, gern mit Holz von Bäumen, die infolge des Klimawandels abgestorben oder umgefallen waren. „Traditionell hat hier jeder Hof einen Walnussbaum“, erzählt die Bildhauerin, die in Caputh am Schwielowsee in einem Weberhäuschen wohnt. Doch dann war der Baum von der Walnussfruchtfliege befallen und wurde gefällt. Da lag es nun auf dem Hof, das Holz, und Ilka Raupach kreiste drum herum. Der Baum habe ihr wirklich Kopfzerbrechen bereitet, mit seiner Gabelung in vier starke Äste, erzählt sie: „Da war schon so viel Form, ich wusste gar nicht, was ich da noch hinzugeben soll.“
Und der Freund kam, und fragte nach, und der Winter kam, und das Holz wurde nicht besser, im Freien und im Regen. Und dann kam der Frühling, die Knospen an den Bäumen wurden von Tag zu Tag praller, und Ilka Raupach wusste: „Das ist es. Diese Kraft, die in so etwas Kleinem steckt und sich dann explosionsartig entfaltet - das ist die Wucht überhaupt im Frühling.“ Das Holz hatte seine Form gefunden.
Das Holz arbeitet selbst
„Als alle Knospen sprangen“ heißt die Arbeit, mit der Ilka Raupach mit dem Brandenburgischen Kunstpreis 2022 in der Kategorie Plastik ausgezeichnet worden ist. Es sind Holzskulpturen, stark vergrößerte Formen. Das trocknende Holz ist an der Spitze gesprungen wie eine Knospe. Einen Schnitt hatte sie schon gesetzt, erzählt Raupach, doch dann sei das Holz von selbst aufgegangen, und sie habe gemerkt, sie muss erst mal gar nichts machen, sondern beobachten und dann im richtigen Moment eingreifen. Dass Material weiterarbeitet, ist ein Vorgang, der sie so fasziniert wie beglückt. „Das ist ein Gewinn – ich versuche, die Risse bewusst in die Form zu integrieren“.
Inzwischen hat Ilka Raupach fast alle Holzarten durchprobiert: Esche, Buche, Robinie, Eiche, Erle, Birke, und eben auch Walnuss. Mit dem Material kennt sie sich aus: „Ich habe in meiner Ausbildung an der Berufsfachschule gelernt, mit Material umzugehen – die Holzbildhauer waren in der Werkstatt gleich nebenan. Es hat jedes Holz seine Eigenheiten, seine Farbigkeit, seine Dichte, seinen Geruch. Einen Stamm aufzuschneiden, das ist jedes Mal ein Erlebnis.“ 1976 in Hennigsdorf geboren, hat sie 1996 bis 2000 in Michelstadt im Odenwald eine Ausbildung als Elfenbeinschnitzerin und Drechslerin und ihren Meister gemacht. Dort hat sie die Technik gelernt, die Materialgerechtigkeit und die Vorliebe für die Farbe Weiß. „Ich bin sehr froh darum, dass ich das alles gelernt habe. Das war eine gute Grundlage für das spätere Studium.“
Viele Bäume sind in den Stürmen der vergangenen Jahre umgefallen
So glatt die Skulpturen wirken – sie sind in harter Arbeit entstanden. Ilka Raupach arbeitet mit der Kettensäge, manchmal dann noch mit der Handsäge, und mehr als vier Stunden am Tag in voller Konzentration hält sie körperlich nicht durch. Und doch schätzt die eher zierliche Bildhauerin den Widerstand, den ihr das Material entgegenbringt, und dass die Holzstücke oft größer sind als sie. „Durch die schweren Stürme der letzten Jahre sind so viele Bäume umgefallen, und da habe ich oft direkt vor Ort gearbeitet, weil ich ja auch keinen Kran habe, die Hölzer irgendwo hinzutransportieren. Ich mag es, dort zu arbeiten, wo der Baum liegt und wo er die letzten hundert Jahre gelebt hat“. In Trebnitz hat sie im vergangenen Jahr bei den Plein Airs der Gustav-Seitz-Stiftung mitgewirkt, und in diesem Jahr auf der Landesgartenschau in Beelitz. Körperliche Arbeit schätzt sie: „Ich habe auch gern mit Metall gearbeitet, im Studium an der Burg Giebichenstein in Halle. Es hat seinen Reiz, dieser Hitze beim Schmieden zu begegnen, und dass das Material dann erst weich und dann knallhart ist.“
Aktuell arbeitet sie an einer Skulptur für den Uferweg an der Havel in Caputh, und zwar auf dem Gelände der örtlichen Feuerwehr. „Balance“ soll sie heißen und sich mit dem Thema Siedlung beschäftigen: „Ich habe zehn Jahre an der TU Braunschweig im Fachbereich Architekturfakultät gelehrt, das hat mich beeinflusst.“ Behausungen, Siedlungen hat sie auch in einem ganz anderen Material gestaltet: Schnee und Eis. Über Jahre hinweg ist sie mit ihren Studierenden im Winter nach Norwegen gefahren, um beim Internationalen Schnee Festival mitzuwirken. Der Schnee verfolgt sie seit dem Studium: „Ich habe ein halbes Jahr an der Kunsthochschule in Bergen studiert, und da gab es das legendäre Schnee-Seminar.“ Schon dort ging es darum, Behausungen zu bauen, Räume, die begehbar sind: „Ich habe mir damals mit einer Freundin eine Überlebenshöhle gegraben, eine Art Iglu, in der wir auch übernachtet haben. Das Zusammenspiel zwischen dem menschlichen Körper und dem Raum ist seitdem für mich ein Hauptthema geworden.“
Eis-Arbeiten, die wieder vergehen
Es sind Arbeiten, die vergehen, wenn Raupach längst wieder abgereist ist. Sie hofft dann immer, dass sich noch jemand findet, der zumindest fotografisch festhält, wie sich ihre Schneeskulpturen unter dem Einfluss der Witterung verändern: „Man muss auch lernen, wieder loszulassen.“ Doch so vergänglich die eigentliche Arbeit auch ist: „Ich glaube, ich habe jede Schneeskulptur noch in meinem Körper drin“, erzählt Raupach. Weil es eine so körperliche Anstrengung sei, sich in den Schnee einzugraben, das merke sich der Körper. „Ich liebe die Arbeit mit Raum und mit Landschaft. Hinzu kommt, dass das Material überall da ist. Wenn man mit wertvollen Materialien wie Metall oder teure Steine arbeitet, blockiert mich das manchmal. Und das passiert bei Schnee und Eis nicht, da ist es wie ein Spiel. Das ist für mich die größte Freiheit, so zu arbeiten, aus dieser Unbefangenheit heraus.“ Im kommenden Winter wird sie nach Jukkasjärvi in Schweden reisen und dort eine Suite für das ICEHOTEL gestalten.
Reise in den Amazonas
Doch zuvor geht es nach Brasilien und in den Amazonas, unterstützt durch eine Residence-Reiseförderung des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen). Brasilien, das ist eine Welt, die sie 2015 bei einem Aufenthalt in Sao Paulo entdeckt hat. Der Betonmoloch der Megacity, die unübersichtliche Stadtstruktur, das habe sie geschockt, erzählt sie – und gleichzeitig neu nachdenken lassen darüber, wie sich Pflanzen in dieser Umwelt behaupten. „Wie das Wurzelwerk Beton und alles aufhebeln kann, ist unglaublich“. Der Gegensatz zwischen der gewaltigen Kraft der Natur im Regenwald und der Dichte in den Städten beschäftigt sie. Auch im Amazonas wird es nun im Rahmen des Künstlerprogramms LABVERDE für sie um Bäume gehen, speziell den Paranussbaum, der in einer besonderen Symbiose mit seiner Umwelt lebt. „Es ist ein hochkomplexer, zusammenhängender Organismus - bestehend aus Makropilzen, dem Nagetier Aguti, Orchideen, einer Spezies Solitärbiene und dem Baum“, hat Raupach für ihr Projekt „Sumbios“ recherchiert. Und fügt hinzu: „Ich denke, es ist Zeit, den Gedanken des Anthropozän zu verlassen und im Symbiozän nach wegweisenden Formen des Zusammenlebens zu forschen - auf ökologischer und gesellschaftlicher Ebene“. Der „Garten Amazonas“ als Beispiel, wie dicht alles miteinander verstrickt ist – das ist das Thema, in dem sich für Ilka Raupach ein Kreis schließt.
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