Die Größe hat der Stein vorgegeben, ein Block türkischen Marmors, den Ulrich Jörke noch im Garten liegen hatte. Ein Stein, den er ohnehin schätzt: nicht so blendend weiß wie Carrara-Marmor, nicht so weich wie der Reinhardtsdorfer Sandstein aus Sachsen, mit dem er sonst gern arbeitet. Nur polieren darf man ihn nicht, sonst wird er grün, olivgrün. Aber Jörke schätzt ohnehin die Offenheit, eine Oberfläche, die nicht glatt ist, die Struktur hat, bei der noch nichts geklärt ist.
An dem Torso „In Wellen“, mit dem der Bildhauer nun den Brandenburgischen Kunstpreis gewonnen hat, hat er lange gearbeitet, erzählt er beim Treffen in seinem Atelier und Garten in Französisch Buchholz. Es sollte diesmal etwas Leichtes, Labiles werden, mit einem Schwung, der von der gedrehten Schulter der Figur ausgeht, eine leichte Drehung, die eine Unsicherheit in die Arbeit bringt.
Lange hat er überlegt, welches der richtige Punkt ist, auf der sie steht, und klar war, es sollte diesmal nichts auf einem Sockel sein. Am Ende findet er: „Sie ist ringsum ganz gut geworden“. Oder, wie er auf die Frage, wann eine Arbeit fertig ist, formuliert: „Irgendwann heißt es: Ich schließe ab.“
Rundum gut geworden: Ulrich Jörkes Skulptur "In Wellen" (2022, türkischer Marmor, Höhe 31 cm).
Rundum gut geworden: Ulrich Jörkes Skulptur „In Wellen“ (2022, türkischer Marmor, Höhe 31 cm).
© Foto: Ulrich Jörke
Ein Besuch im Wohn- und Atelierhaus von Ulrich Jörke ist ein Besuch in einer Lebensgeschichte. Nicht nur, weil überall im Garten Skulpturen stehen und der Künstler zu jeder eine Geschichte erzählen kann. Nein: Das Haus ist auch Jörkes Elternhaus, er lebt hier seit seinem ersten Lebensjahr 1937, seine Eltern lebten hier, seine Schwester wohnt noch im Obergeschoss, und nun kommen schon die Urenkel und reiten auf der Bronze-Ziege, die im Garten steht. Im Atelier füllen sich die Regale mit Plastiken, in letzter Zeit vermehrt mit kleineren Skulpturen – der Künstler, der seit Jahrzehnten am Stein arbeitet, spürt langsam den Rücken. Und am liebsten, erzählt er, arbeitet er im Sommer im Garten, wo man Abstand nehmen kann vom Stein, ihn drehen und von allen Seiten betrachten – und dann auf der Bank daneben einen Kaffee trinken.

Schon als Kind hat Jörke mit Lehm modelliert

Dass es Ulrich Jörke zur Kunst treibt, war eigentlich seit seiner Kindheit klar. Der Junge zeichnete, modellierte – ein kleines Köpfchen aus Lehm, das damals entstand, hat er neulich erst wieder auf dem Dachboden gefunden. Wo die Kreativität herkam? Vielleicht von seinem Onkel, der durch zwei Kriege verhindert war, selbst Künstler zu werden, aber exzellent gezeichnet hat – und dann Konditormeister geworden ist, Figuren aus Marzipan und Zuckerguss geformt hat.
Auch Ulrich Jörke fand erst auf Umwegen zum Leben als hauptberuflicher Künstler, lernte zunächst Fernmeldemonteur und studierte an der Ingenieurschule Mittweida. Lange Jahre hieß es für ihn: „Unter der Woche war ich der Technologe, und am Wochenende im Atelier.“

Künstler-Austausch in der Sächsischen Schweiz

Er ist im besten Sinne Autodidakt, erwarb seine Kenntnisse insbesondere im Atelier seines Mentors Gerhard Rommel und im Austausch mit Kollegen, etwa bei den jährlichen Bildhauersymposien in Reinhardtsdorf in der Sächsischen Schweiz, die in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiern. 30 Jahre lang hat er in Strausberg die Maler-, Zeichner- und Bildhauergemeinschaft des Kultur- und Sportclubs Strausberg (später KONTRAPOST) geleitet.
Inzwischen ist der Weg zu weit und er hat seine Tätigkeit in die Nachbarschaft, ins Amtshaus Buchholz verlegt. Dort unterrichtet er einmal pro Woche eine Gruppe auch in Aktzeichnen – und zeichnet immer noch mit. Es gibt Kollegen, mit denen er sich im Atelier besucht und austauscht, zum Beispiel Marguerite Blume-Cárdenas. Das Wiedersehen jeden Sommer in Neuhardenberg freut ihn immer. 2021 gestaltete er die Preisskulptur für den Kunstpreis.
Aber es gibt auch Vorbilder, seinen Mentor Gerhard Rommel, oder Werner Stötzer, dessen Meisterschüler er fast geworden wäre: „Er war ein Lehrer für mich, auch wenn ich nie auf seiner Schulbank saß.“ Was er von Stötzer lernte, spürt man, wenn Ulrich Jörke über Skulpturen spricht: Über die „Große Form“, die es zu finden gilt, das Spiel der Binnenformulierung, die Patina, die das Wetter dazu schenkt und die ihm so wichtig ist.
Umso mehr schmerzt, dass die Stadt Strausberg seine frühe Skulptur „Träumende“ von 1983, die unter den Bäumen an ihrem Standort wunderbare Patina bekommen hatte, mit dem Kärcher säubern ließ. Kaum war der Stein wieder weiß, wurde er 2020 mit Graffiti beschmiert. Die Farbe ging nicht richtig ab, sein Kollege Carlo Wloch musste sie abmeißeln, nun traut sich die Stadt nicht mehr, die wieder saubere Skulptur öffentlich aufzustellen.
Viele Arbeiten von Ulrich Jörke sind im öffentlichen Raum zu finden: Zum Beispiel die 1989 entstandenen Terracotta-Reliefs für die U-Bahn-Station Tierpark, die eine lange Odyssee hinter sich haben, bevor sie in einem Schuppen gefunden und seit 2020 wieder an ihrem Ort zu sehen sind. Oder eine seiner ersten Arbeiten, die von ihm entworfene Stele auf dem Klaustaler Platz in Pankow – das Modell dazu hat er gerade im Atelier wiedergefunden. Die beiden Katzen, die sich dort so entspannt auf einem Sims räkeln, sind am Standort inzwischen geklaut. Die Originale hat er noch im Atelier. Überhaupt sind Tiere immer wieder in seinen Arbeiten zu finden: „Tiere sind für mich genauso wichtig wie Menschen. Es sind Kreaturen, die so verletzlich sind“, erklärt der Künstler.

Schwimmen in den Wellen

Es mag am stolzen Alter von 85 liegen, dass auch bei der Arbeit Erinnerungen an Kindheit, an schwere Zeiten, Evakuierung und Flucht hochkommen: Am Stein geht einem so einiges durch den Kopf, erzählt der Bildhauer: „Der Stein braucht Zeit, um zu reifen, und da kommen dann Dinge aus dem eigenen Leben mit hinein.“ Während der Arbeit an „In Wellen“ habe er an einen Schwimmer im Wasser gedacht, und daran, was das mit ihm selbst zu tun hat: „Man schwimmt so dahin, setzt sich mit allen möglichen Dingen auseinander, alles ist bewegt, man weiß nicht, wo es hinführt – vielleicht kommt bald ein Wasserfall, der uns herrunterreißt.“
All das, das Leben in Wellen, die Angst vor dem Sturz, oder auch vor dem Austrocknen, das sei ihm bei der Arbeit durch den Kopf gegangen. Und gleichzeitig scherzt er: „Dieser Kunstpreis ist auch ein Ansporn. Und ich bin ja noch jung.“

Biografie

Ulrich Jörke lebt und arbeitet in Berlin; Mitglied des berufsverbandes bildender künstler*innen berlin und der Künstlergruppe KONTRAPOST. 1936 in Berlin geboren, 1951–1954 Ausbildung zum Fernmeldemonteur, 1957–1962 Techniker- und Ingenieurstudium an der Ingenieurschule Mittweida. Ab 1975 Tätigkeit als Bildhauer bei Gerhard Rommel, seit 1983 freischaffend, ab 1985 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK); regelmäßige Teilnahme an den Bildhauersymposien in Reinhardtsdorf/Sachsen. 1983–2015 Leitung der Maler-, Zeichner- und Bildhauergemeinschaft des Kultur- und Sportclubs Strausberg (später KONTRAPOST). Seit 2018 Kunstdozent im Nachbarschaftszentrum Amtshaus Buchholz. 2021 Gestaltung der Preisfigur für den Brandenburgischen Kunstpreis.
Preise und Stipendien: 2003 Eintrag in das Ehrenbuch der Stadt Strausberg 2013 Ehrennadel in Gold des KSC Strausberg
Kunst im öffentlichen Raum (Auswahl): 1983 Strausberg, Stadtmauer, Sandsteinskulptur „Träumende“; 1989 Berlin, U-Bahnhof Märkisches Museum, figürliche Stuckreliefs; 1990 Berlin-Französisch Buchholz, Pfarrer-Hurtienne-Platz, Sandsteinskulptur „Hugenotten, belebende Kraft“; 1998/2020 Berlin, U-Bahnhof Tierpark, Wandreliefs aus Terrakotta; 2002 Strausberg, Flugplatz, Kunststofffigur „Vogel Strauß“; 2003 Zehdenick, Sandsteinskulpturen „Hausgeister“; 2013 Strausberg, Kreisverkehrsplatz Elefantenpfuhl, Stadtsilhouetten aus Stahl