Ernst, fast streng blicken Bach, Händel, Bartók und Konsorten auf die Bühne im Konzerthaus Berlin. Doch das tun sie immer – schließlich sind sie Büsten. Und die brauchen eben Gravitas. Trotzdem würde man gern wissen, was die Herren Komponisten von dem hielten, was sich da am Sonnabend unter ihren steinernen Antlitzen abspielte. Was sie zu dem Rapper mit Bordeaux-roter Bomberjacke und eng geschnürten Doc Martens sagen würden. Der Art, wie er das (bereitwillige) Publikum zu „Klopapier“-Rufen für die Pandemie-Hymne „Nudeln und Klopapier“ animiert? Dem euphorischen Gegröle aus den vollbesetzten Reihen?

Kürzlich spielte Danger Dan auch in der ausverkauften Elbphilharmonie

Nun, vielleicht würden sie denken: „Lauf davon, lauf davon, so schnell du kannst.“ So jedenfalls heißt der Opener der Show im ausverkauften Schinkel-Bau. Über wehmütigen Akkordfolgen erzählt Danger Dan darin, wie er sich – die Bewerbungsmail schon fertig getippt – gerade noch gegen den Job in einer „hippen Agentur“ entschied. Wie ihm Lou Reed erschien und mahnte: „Lauf davon, lauf davon, so schnell du kannst. Und fang irgendwo noch mal von vorne an.“ Daniel Pongratz, so der bürgerliche Name des Künstlers, hörte auf Reed. Er landete nicht bei einem Chef, „der Ramones-Shirts trägt“. Er beschritt den Weg der Musik. Man muss sagen: eine gute Entscheidung!
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Berlin
Das sieht nicht nur das Publikum am Gendarmenmarkt offenkundig so. Seit seinem Soloalbum „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ feiern weit mehr als nur Fans von Anarcho-Rap das Mitglied der Antilopen Gang. Vielmehr ist es fast mehrheitsgesellschaftlicher Konsens, dass die während des Lockdowns entstandenen Piano-Stücke das Prädikat wertvoll verdienen.
Erste musikalische Erfolge feierte Danger Dan (rechts) als Mitglied der Antilopen Gang zusammen mit Koljah (links) und Panik Panzer (Mitte)
Erste musikalische Erfolge feierte Danger Dan (rechts) als Mitglied der Antilopen Gang zusammen mit Koljah (links) und Panik Panzer (Mitte)
© Foto: Danny Koetter/dpa
Diesem Erfolg hat es Danger Dan nun zu verdanken, dass statt Hip Hop-Clubs und Punk-Läden immer häufiger Tempel der Hochkultur auf seinem Tourplan stehen. Alte Oper Frankfurt, Gewandhaus Leipzig, Scharoun Theater Wolfsburg – überall dort gab er seine sozialkritischen Chansons schon zum Besten. Mitte Januar spielte er sogar in der ausverkauften Elbphilharmonie.
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„Das ist ganz schön eindrucksvoll hier“, sagt Daniel, wie sich der bald 40-Jährige vorstellt (das Danger sei in seinem Alter dann doch langsam albern). Wer denn zum ersten Mal im Konzerthaus sei, will er vom Berliner Publikum wissen. Unter dem Dutzend Kronleuchter, die von der goldverzierten Decke baumeln, bleibt kaum eine Hand unten. „Ich hab‘ nie den Traum gehabt, in solchen Konzerthäusern zu spielen“, sagt der Musiker. „Das übertrifft alles, von dem ich je geträumt habe.“

Zwischen Wehmut und Angriffslust, Melancholie und Euphorie

Einschüchtern lässt sich Pongratz davon nicht. Mit gewohnt unprätentiösen Charme changiert er, allein am schwarz-weiß gemusterten E-Piano sitzend, zwischen Wehmut und Angriffslust, Melancholie und Euphorie, Balladen und politischen Parolen. Immer wieder erzählt er zwischen den Songs von deren Entstehungsgeschichte. Etwa von dem antiquierten und ihn bitterlichen verfehlenden Bildungsregime an seiner alten Schule, mit der er in „Ingloria Victoria“ abrechnet. Oder den Beobachtungen, die er als Gegendemonstrant auf jener Querdenker-Demo in Berlin machte, die im gescheiterten Erstürmungsversuch auf dem Reichstag endete. Sie verarbeitete er in „Das schreckliche Buch“.
"Das ist ganz schön eindrucksvoll hier": Das Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt
„Das ist ganz schön eindrucksvoll hier“: Das Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt
© Foto: Britta Pedersen/dpa

Auch das Streichquartett um Jonathan Heck erwies sich als Highlight

Dass er ein politischer Liedermacher ist, beweist Danger Dan auch mit einer Hommage an den österreichischen Sänger Georg Kreisler, dessen Stück „Meine Freiheit, Deine Freiheit“ er covert. Auch „Mein Vater wird gesucht“ von Hans Drach bringt er auf die Bühne. Das Stück beschreibt aus der Sicht eines Kindes die Verfolgung und Ermordung eines Vaters durch die SA. Aufgeführt wird es von dem Streichquartett um Jonathan Heck. Nicht nur ihre tief ergreifende Interpretation des Arbeiterliedes ist ein Highlight des Abends. Das Quartett steuert immer wieder wunderbar weiche Arrangements für Balladen wie „Trotzdem“ bei. Und für ein Brett wie „Mingvase“ dienen sie dem Rapper auch als Rhytmussektion, die es locker mit basslastigen Hip Hop-Beats aufnehmen kann.
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Das bereitete nicht nur dem empathisch-euphorischen Berliner Publikum spürbare Freude. Danger Dan, der in den vergangenen Monaten gefühlt mehrere Konzerte am Tag spielte, musste sich jedenfalls am Ende seines Heimspiels eine Träne verdrücken. Mit München und Zürich stünden nämlich nur noch zwei Shows auf dem Tourplan. Doch Rapper wie Fans müssen nicht traurig sein: seinen 40. Geburtstag am 2. Juni feiert Daniel Pongratz nämlich mit einem Doppelkonzert in Berlin – wo genau, bleibt fürs Erste ein Geheimnis. Eines scheint nach dem Abend im Konzerthaus aber sicher. Es dürfte ein rauschendes Fest mit gekonnt vertonter Sozialkritik sein.