Er schlug in der Berliner Kunstwelt ein wie ein Blitz: 1892 kam der norwegische Maler Edvard Munch (1863 -1944) zum ersten Mal an die Spree, um auf Einladung eines Landsmanns im Verein Berliner Künstler auszustellen. Seine Bilder schockierten das Publikum, so fremd und avantgardistisch wirkten sie mit ihren intensiven Farben und der Darstellung von Seelenzuständen. Nach nur vier Wochen musste die Ausstellung schließen, die Kunstwelt war gespalten – ein Skandal, der als „Affaire Munch“ in die Kunstgeschichte einging.
Munch war knapp 30 Jahre alt, sein Name wurde schlagartig bekannt. In Berlin begann seine internationale Karriere. In einem frühen Selbstbildnis von 1893 blickt er wie ein Suchender auf die Betrachter, in einem weiteren Selbstporträt von 1905 ist er bereits der arrivierte Künstler, der sich im Anzug und breitkremprigem Hut wie ein Dandy darstellt und mit seinen melancholischen Gemälden eine neue Epoche einläutete.

„Für uns beginnt mit Edvard Munch die Moderne“

Ab 15. September untersucht erstmals eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie – Landesmuseum für Bildende Kunst die Wechselbeziehung zwischen Munch und Berlin unter dem Titel „Edvard Munch. Zauber des Nordens“. „Für uns beginnt mit Edvard Munch die Moderne“, erklärt Kuratorin Stefanie Heckmann, „wir wollten die Anfänge ausforschen und aus Berliner Perspektive auf diesen Künstler schauen.“ Mit rund 80 Arbeiten von Edvard Munch, der Hauptteil davon Leihgaben aus dem Munchmuseet Oslo, ergänzt durch Bilder weiterer in Berlin tonangebender Künstler der Zeit, geht die Ausstellung der Entwicklung des Malers nach, dem Licht und den intensiven Farben seiner Bilder sowie den Themen, die seine Werke bis heute relevant machen.
Die "Madonna (Liebende Frau)" (1895/1902) ist eines von rund 80 Werken Munchs, die in der Berlinischen Galerie ausgestellt sind.
Die „Madonna (Liebende Frau)“ (1895/1902) ist eines von rund 80 Werken Munchs, die in der Berlinischen Galerie ausgestellt sind.
© Foto: Soeren Stache/dpa

Ausstellung mit rund 80 Arbeiten von Edvard Munch

Zwischen 1892 und 1908 war Berlin für Edvard Munch immer wieder Lebens- und Arbeitsort. Hier traf er auf eine Begeisterung für den Norden und intellektuell wie künstlerisch Gleichgesinnte, Galeristen und Mäzene, die ihn förderten, seine symbolistischen, rätselhaften Bilder zeigten und ihm als Künstler zum internationalen Durchbruch verhalfen. In fünf thematisch gegliederten Räumen schlägt die Ausstellung den Bogen von dem skandalösen ersten Auftritt des Norwegers bis zur großen Retrospektive 1927, mit der die Nationalgalerie Berlin den Maler feierte, bevor seine Bilder in der NS-Zeit ab 1933 zunächst als „nordisch“ ideologisch instrumentalisiert, dann aber als „entartet“ eingestuft und aus den Museen entfernt wurden.
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Munchs Hauptwerk thematisiert Liebe, Eifersucht, Angst, Wahnsinn und den Tod

Seinem Hauptwerk, dem „Lebensfries“, an dem Munch zeitlebens arbeitete und für den er Einzelbilder zu den Themen Liebe, Eifersucht, Angst, Wahnsinn, Tod immer wieder neu zusammenstellte, ist der zentrale Raum der Ausstellung gewidmet. Zu den Schlüsselwerken gehören Bilder wie „Der Kuß“ (1897), das ein eng umschlungenes Paar am Fenster zeigt, die Gesichter aneinander gepresst, oder auch „Auge in Auge“ (1899-1900) mit einem Paar, das sich an den Händen hält, das Gesicht des Mannes leuchtet geradezu gespenstisch hell. Und schließlich das Gemälde „Rot und Weiß“ (1899-1900) mit zwei Frauen im Zentrum, die Eine in weißem Gewand hat sich abgewendet und schaut aufs Meer, die Andere in leuchtend rotem Kleid blickt mit halb geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen auf den Betrachter.
Zwischen 1892 und 1908 war Berlin für Edvard Munch immer wieder Lebens- und Arbeitsort.
Zwischen 1892 und 1908 war Berlin für Edvard Munch immer wieder Lebens- und Arbeitsort.
© Foto: Soeren Stache/dpa
Immer wieder greift Munch in seinen Bildern Zustände des Menschseins und den Konflikt der Geschlechter auf. 1902 zeigte er den „Lebensfries“ erstmals mit 22 Gemälden bei der Berliner Secession und band auch das Thema Tod mit ein. In der Ausstellung sind dazu die zwei Bilder „Der Tod und der Frühling“ (1893) und „Leichenwagen auf dem Potsdamer Platz“ (1899/1900) zu sehen. Letzteres belegt einen für Munch ungewöhnlich deutlichen Bezug zur Topografie.

Munch entdeckte in Berlin neue Techniken für seine Kunst

In Berlin entdeckte Munch auch die Druckgrafik für sich, der in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist. Die Lithografie „Das kranke Kind“ (1894), in der er sich mit dem Tod der Schwester auseinandersetzt, zeigt seinen virtuosen Umgang mit der neuen Technik: Ein Mädchen, vom Fieber gezeichnet, den Kopf zum Fenster gedreht, das einfallende Licht kündigt die Transzendenz in den Tod an.
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Zu sehen sind auch Munchs beeindruckende Porträts seiner Zeitgenossen, darunter Vertreter der internationalen Bohème-Szene in Berlin, mit denen der Maler im Weinlokal „Zum Schwarzen Ferkel“ verkehrte, darunter der Dramatiker August Strindberg sowie der polnische Autor Stanislaw Przybyszweski, einem frühen Bewunderer von Munchs Kunst. Ein Porträt zeigt die norwegische Pianistin und Dichterin Dagny Juel, die Muse der Gruppe und spätere Frau des polnischen Autors, die Munch als Typus einer modernen Frau in vielen Variationen malte.

Nicht die einzige Edvard Munch-Schau in der Region

Eine Entdeckung sind die Fotografien aus der eigenen Hand des Künstlers. 1902 hatte er sich eine Kamera gekauft, dokumentierte Motivszenen und Ausstellungen, aber inszenierte sich auch gern selbst vor der Linse.
Nicht nur die Berlinische Galerie feiert in diesem Herbst den Norweger Edvard Munch, ab November wird im Museum Barberini eine weitere Munch-Schau eröffnet, die den Schwerpunkt auf seine Landschaftsbilder legt. Für das Publikum bietet sich die einzigartige Gelegenheit, das Werk des norwegischen Künstlers und Wegbereiters der Moderne in ungewöhnlicher Dichte zu erleben.

„Edvard Munch. Zauber des Nordens“ – Eintritt und Öffnungszeiten

Die Ausstellung „Edvard Munch. Zauber des Nordens“ eröffnet am 15. September 2023. Zu sehen ist sie bis 22. Januar 2024.
Zeitfenster-Tickets kosten 15 Euro (ermäßgt 9 Euro), Abendtickets (Donnerstag 17–20 Uhr): 9 Euro, Gruppenticket (ab 10 Personen): 9 Euro pro Person. Bis 18 Jahre ist der Eintritt frei. Tickets sind an der Tageskasse sowie online erhältlich.
Öffnungszeiten der Berlinischen Galerie (Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin): Mittwoch sowie Freitag bis Montag: 10 bis 18 Uhr, Donnerstag: 10 bis 20 Uhr, dienstags geschlossen