Einfach zu greifen ist er nicht, dieser Josh Tilman alias Father John Misty. Mit Genrelabels kommt man jedenfalls nicht wirklich weit. Indie, Indie Folk, Folk Rock, Soft Rock, Chamber Pop gar? Was macht er denn nun? Ganz so genau scheint er es selbst nicht zu wissen.

„Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist“

„Covid trieb mich zum Fake Jazz“, sagt er nach dem unerhört smooth swingenden „Chloë“, in dem er einen fallenden Star besingt, die ihre besten Tage hinter sich hat. „Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.“ Wichtig ist es ohnehin nicht. Das macht er selbst in gewohnter Nonchalance klar: „Ich bereue nichts.“ Das Publikum in der Berliner Columbiahalle tut es an diesem Freitagabend auch nicht.
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Sein Auftritt in der Hauptstadt war der einzige in Deutschland, der es auf den aktuellen Tourplan Father John Mistys schaffte. In anderen Worten: die Erwartung war groß. Und der Spross, einer beklemmend religiösen Familie aus Maryland, der einst bei den durchaus achtbaren Fleet Foxes hinter dem Schlagzeug saß, ehe er sich als Frontmann selbst ans Mikrofon wagte, enttäuschte nicht.

Das Konzert von Father John Misty ist schnörkellos, auf jeden Fall gediegen

Mit dem verträumt psychedelischen „We Could be Strangers“ aus seinem aktuellen, mittlerweile fünften Album „Chloë and the Next 20th Century“, eröffnet der Mann, der erst mit der Kunstfigur Father John Misty künstlerisch zu sich selbst gefunden hat, den Abend. Slow tanzend schlurft auf die Bühne. Weißes T-Shirt unter schwarzem Jackett. Schnörkellos, auf jeden Fall gediegen. Ganz so wie der Brokatvorhang hinter ihm. An diesem Freitagabend in der Columbiahalle gibt es keine Tricks, keinen Firlefanz. Aber trotzdem eine Show. Eine, bei der der Fokus vollumfänglich auf der Musik liegt.
Albumchover von "Chloë and the Next 20th Century" von Father John Misty (
Albumchover von „Chloë and the Next 20th Century“ von Father John Misty (
© Foto: Ward & Kweskin
Und die kommt, wen überrascht‘s, eklektisch daher. So haucht es mal beseelt langgezogene „Uhs“ und „Ohs“ wie beim melodisch fröhlichen „Nancy From Now On“ durch den Saal, dann wieder setzt das mitgebrachte Bläserquartett zu smoothen Swing-Partien an. Und wenn der 41-Jährige nicht gerade Spoken Word-Passagen vorträgt, singt er hier und da leidvoll-schöne Balladen wie „Just Dumb Enough to Try“.

In lustvoller Permanenz zwischen Ernsthaftigkeit, Satire und Provokation changierend

Dabei lässt Tillman zunächst Song auf Song folgen. Kommentarlos. Hat er einen schlechten Tag erwischt? Eine Frage, die bei einem Künstler, der in lustvoller Permanenz zwischen Ernsthaftigkeit, Satire und Provokation changiert, durchaus berechtigt ist. Man muss nur einen Blick auf das Interview mit Laut.de werfen, das er wenige Tage vor seinem Berlin-Konzert, nun ja, „führte“. Statt einfach zu antworten, verweist er an einer Stelle etwa lieber auf einen buddhistischen Dämon.
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Dass er gelegentlich aneckt, weiß der Musiker selbst. „Es ist einfach zu einfach, sich über diesen weißen Typen lustig zu machen, der eindeutig zu viel gelesen hat und sich für so schlau hält“, sagte er einmal der New York Times gegenüber. „Mich verblüfft es nicht, wenn die Leute mich nicht mögen. Ich bin irgendwie nervig.“

Würde ein Vertreter der Indie-Intelligenzija Songs für Beyoncé schreiben?

Doch es wäre zu einfach, Father John Misty als einen prominenten Vertreter der abgehobenen Indie-Intelligenzija abzutun. Oder würde so jemand Songs wie „Hold Up“ für Beyoncé mitschreiben oder zusammen mit Lady Gaga ins Studio gehen, um an ihrem Album zu arbeiten?
Und anders als bei notorisch schwierigen Künstlern des Typus Morrissey ist ihm selbst bei Konzertabbrüchen noch eine Meta-Ebene zu eigen. Etwa als er 2016 ein Set in New Jersey nach nur 20 Minuten unterbrach, um sich in einer Tirade über eine verdummende Unterhaltungsindustrie zu ergehen. Damals stürmte Tillman nicht einfach von der Bühne. Er spielte stattdessen noch „Leaving L.A.“, das 13 Minuten lange, frustgeladene Herzstück seines dritten Albums „Pure Comedy“, in dem es um eben jenes Zentrum seriell produzierter Unterhaltung an der amerikanischen Westküste geht, mit dessen Selbstdarstellern und deren „bullshit bands“.
Ähnlichkeit mit Twittergründer Jack Dorsey? Josh Tillman alias Father John Misty.
Ähnlichkeit mit Twittergründer Jack Dorsey? Josh Tillman alias Father John Misty.
© Foto: Ward & Kweskin

Die Fans nehmen das Gesprächsangebot bereitwillig an

Doch in der Columbiahalle waren jegliche Sorgen unbegründet. Erstaunlich gelassen, sogar entspannt wirkt Father John Misty an diesem Abend. Irgendwann spricht er dann doch, interagiert zwischen den Liedern regelrecht mit den Fans vor der Bühne. Die nehmen das Gesprächsangebot bereitwillig an, vergleichen den Keyboarder mit Sonnenbrille und Tolle mit Elvis Costello. Eine Steilvorlage für Tillman, der sich als schlagfertig erweist und mit viel trockenem Humor ausgestattet ist. Welche Bandmitglieder denn noch wie Berühmtheiten aussehen, will er wissen. Sein Gitarrist, langes Haar, Vollbart, sehe aus wie Father John Misty vor sechs Jahren, antwortet er schließlich selbst. Der Echte ähnle mit abrasiertem Haar heute eher Twittergründer Jack Dorsey.
So viel zum Aussehen. In Sachen Klang drängen sich an diesem Abend in Berlin jedenfalls mehrere Vergleiche auf. Randy Newman, Dan Fogelberg, Jim Morrison, Kenny Loggins – alle klingen sie irgendwie durch. So ist das eben mit Father John Misty. Leicht zu fassen ist er nicht, dafür kann er unfassbar gut sein.

Father John Misty – An Evening With (anstehende Tourdaten)

● 4. März: Amsterdam (NL), Melkweg
● 6. März: Brüssel (BE), Ancienne Belgique
● 7. März: Paris (FR), Salle Pleyel (mit Sophie Jamieson)
● 8. März: London (UK), Eventim Apollo
● 10. März: Brighton (UK), Brighton Dome
● 11. März: Portsmouth (UK), Guildhall