Manchmal versuchen auch Journalisten Worten so schöne Flügel zu verpassen, wie es der Herbert am laufenden Band tut. „Deutschlands oberster Mutbürger“ hat eine Zeitung getitelt, nachdem Grönemeyer sein jüngstes Album „Das ist los“ veröffentlicht hat. Oberster Mutbürger, in der Medien-Rolle gefällt sich der Musiker höchstwahrscheinlich gut. Über den trotz allem doch hoffnungsvollen Zustand des Landes plauderte er hier bei „Lanz““ und da bei „aspekte“, aber nun kommt er auch zum Singen.
Am Sonntagabend trat er in der Berliner Mercedes-Arena auf, natürlich vor ausverkauftem Haus. Die Mehrzahl der Besucher sind weiblich. Richtig junge Leute sieht man kaum. Der 67-jährige Sänger ist ein Volksheld für die Generation, ja was eigentlich? Analog? Currywurst? Schallplatte, CD?
Selten wird auf einem Konzert mehr mitgeklatscht
Vielleicht Generation Mitklatschspaß. Selten wird wohl so viel auf Konzerten mitgeklatscht wie bei Herbert Grönemeyer. Wobei man sagen muss, dass der Künstler das Publikum auch heftig dazu animiert.
Die erste gewaltige Mitklatschwelle rauscht schon nach knapp fünf Minuten durch die riesige Halle. Da hat der gerade mal den Opener „Tau“ absolviert, an einem Klavier, das mit einer Drehung aus dem Boden an die Oberfläche des Bühnenvorbaus gekommen ist. Zum zweiten Song „Das ist los“, dem Titelstück des gleichnamigen Albums, versinkt es schon wieder im sich öffnenden Boden und nun kommt die volle Power von der Band im Bühnenhintergrund.
Es klingt ein wenig stampfig, was als Mitklatschsignal wunderbar funktioniert. Herbert Grönemeyer, in schwarzer Schlabberhose und hellerer Flatterjacke, hüpft aufgedrehter über die Bretter, singt „Ho Ho Ho Ho“ und rudert animierend mit den Armen in Richtung Publikum. Als der Song zu Ende ist und er gebührend bejubelt wird, ruft er den Zuschauern euphorisch zu „Wir geben alles, dass es ein leichtfüßiger, tänzelnder Abend wird.“
Herbert Grönemeyer versprüht in Berlin große Feierlust
Was seinen Part betrifft, kann man verraten: Es wurde ein tänzelnder Abend. Was die Leichtfüßigkeit betrifft, kann man das etwas differenziert sehen. Ja, Grönemeyer versprühte große Feierlust und zeigte sich betont locker, aber das Leichtfüßige ist bei ihm eben auch oft so eine Sache. Es wirkt immer irgendwie ein wenig gewollt, man könnte sagen: deutsch. „Grönemeyer kann nicht tanzen“ hieß mal ein witziger Song von Wiglaf Droste und Bela B. 1989, unter anderem mit der Zeile „Herbert lacht. Schwitzt. Winkt. Freut sich. Gibt was er hat. Hat den Jaul, nicht den Soul. Klingt leicht abgestochen. Aber voll da.“
YouTube-Video: Herbert Grönemeyer – Herzhaft
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Im Prinzip ist damit alles gesagt, es hat sich seitdem relativ wenig geändert. Diese Mischung aus Frohsinn, Albernheit, Überschwang, Tapsigkeit und Zampanotum kennzeichnet seine Konzerte nach wie vor. Was seit 1989 anders ist: Grönemeyer hat sich seit der Zeit mit etlichen Songs als großer Lyriker entpuppt. Als jemand, der eine Seelenzustand ziemlich gut umschreiben kann, nicht nur seinen eigenen, sondern den des eher typischen deutschen Mittelschichtsmenschen. Er kann die Gefühle ausdrücken, von denen viele vielleicht erst beim Hören seiner Songs mitbekommen, dass sie sie auch in sich haben.
Grönemeyer lässt seine Songtexte selten einfach wirken
Das Deutscheste an Grönemeyer ist allerdings, und das wird auch im Konzert an diesem Abend deutlich, dass er seine Songtexte nicht einfach wirken lassen kann – vielleicht, weil er weiß, dass sie schwer zu verstehen sind –, sondern immer noch ihre Botschaft erklärt, damit auch der Letzte in der Hallenecke sie versteht. Demokratie brauche Menschen, die fürs Klima fighten (Song: „Oh Oh Oh“), jeder solle auf den anderen achten („Deine Hand“), in der Beziehung sollte man sich nicht gegenseitig therapieren („Eine Tonne Blei“). Nichts groß erklärt er immerhin zu seinen berührendsten Liedern „Der Weg“ und „Mensch“. Auch „Bleibt alles anders“ von seinem vielleicht besten Album überhaupt ist ein fantastischer Song – den er leider glaubt, vom Publikum zersingen lassen zu müssen. Das mag sich für ihn auf der Bühne toll anhören. Für die Wirkung des Songs ist es schade.
Bei anderen Liedern ist es wiederum wurscht, weil die längst im Kanon der Stimmungslieder eingegliedert sind: „Männer“, „Alkohol“ und „Bochum“, dass auch in Berlin von einem hellen Fanchor begeistert mitgesungen wird. An Ende sind alle glücklich, auch Herbert, denn: „Das ist Sekundenglück, gedehnt auf drei Stunden“.