„Wie für den Ort geschaffen“ seien die beiden Stipendiaten, heißt es von der Jury des ersten Günter de Bruyn-Stipendiums am Mittwoch im Frankfurter Kleist-Museum. Die Lyrikerin Judith Zander, die 2021 für ihren großen Roman „Johnny Ohneland“ den Fontanepreis der Stadt Neuruppin erhielt, und der Fotograf Sven Gatter hatten sich für ein dreimonatiges Aufenthaltsstipendidum in de Bruyns ehemaligem Wohnort, der alten Schäferei, in Tauche beworben – und gewonnen.
Die siebenköpfige Jury, zu der Wolfgang de Bruyn, der Sohn Günter de Bruyns, Franziska Hauser, die aktuelle Burgschreiberin aus Beeskow, der Fotograf Tobias Tanzyna, Friederika Frach vom Brandenburgischen Literaturrat,Thorsten Dönges vom Literarischen Colloquium Berlin, Stephanie Lubasch für die Burg Beeskow und Christina Dalchau vom Frankfurter Kleist-Museum gehörten, entschied am Mittwoch Nachmittag im Kleist-Museum Frankfurt (Oder) einstimmig, und innerhalb kurzer Zeit.

Interesse für die Relikte des Umbruchs

„So wie sich Sven Gatter in seinen fotografisch- künstlerischen Arbeiten immer wieder mit dem Konkreten von Einsamkeit und Leere beschäftige, das er insbesondere in den Transformationsprozessen ostdeutscher Landschaften aufspüre, interessiere sich auch Judith Zander für die Relikte des Umbruchs, die, wie sie selbst schreibt, Teil der „natürlichen“ Umgebung geworden seien und Träger einer Heimeligkeit, „die stets auch das Unheimliche hervorbringt“, heißt es in der Begründung
Es seien durch die Bank gute Bewerbungen dabei gewesen, so Arnold Bischinger, Kulturamtschef in Beeskow und neben Wolfgang de Bruyn, dem Kleist-Museum und dem LCB Mitinitiator des Stipendiums. Aber die beiden hätten durch ihre intensive Beschäftigung mit de Bruyn, mit seinem Begriff vom „Abseits“ und mit der Region überzeugt.
Die in Anklam geborene und heute in Greifswald lebende Lyrikerin, die zuletzt den Gedichtband „im ländchen sommer im winter zur see“ herausgebracht hatte, hatte sich schon darin mit Natur und Naturwahrnehmung befasst. Der in der Nähe von Treuenbrietzen arbeitende Sven Gatter, der als Fotograf mehrfach auch beim Brandenburgischen Kunstpreis in der Endauswahl war, hatte zuletzt 2021 eine Ausstellung im Dieselkraftwerk in Cottbus und hat sich viel mit dem Strukturwandel in der Lausitz, mit dem Verschwinden von Architektur und dem Rückgewinnung von Natur befasst. Beide haben schon mehrfach zusammengearbeitet.
Der Andrang war für eine Erst-Ausschreibung überraschend hoch: 58 Bewerberinnen und Bewerber hatten sich jeweils als Tandems gemeldet, um im Sommer 2023 einige Monate an einem absolut besonderen Ort zu verbringen: Dem Wohnort des 2020 verstorbenen Schriftstellers Günter de Bruyn in der alten Schäferei mitten im Wald bei Tauche. Alle möglichen Kombinationen seien dabei gewesen: Autoren-Duos, musikalische Ergänzungen, viele Künstler. Die Idee des Stipendiums sei offenbar von vornherein gut verstanden worden, so Bischinger. Und die Vorstellung, zwei Monate mitten im Wald fernab jeder Zivilisation zu verbringen, treffe offenbar derzeit besonders die Sehnsucht der Kreativen.
Sohn Wolfgang de Bruyn vor der Alten Schäferei, dem Wohnort seines Vaters Günter de Bruyn. Die Familie hat das Gelände in eine Stiftung eingebracht.
Sohn Wolfgang de Bruyn vor der Alten Schäferei, dem Wohnort seines Vaters Günter de Bruyn. Die Familie hat das Gelände in eine Stiftung eingebracht.
© Foto: Christina Tilmann
Die alte Schäferei an der Blabber, in der Günter de Bruyn seit den 1960ern arbeitete und schrieb, ist tatsächlich ein besonderer Ort. Mitten im Wald, nur mit PKW, Fahrrad oder zu Fuß zu erreichen, bietet sie die Möglichkeit für ein Arbeiten in absoluter Abgeschiedenheit – in „unzeitgemäßer Stille“, wie Wolfgang de Bruyn, der Sohn des Schriftstellers es nennt.
Das Stipendium umfasst pro Stipendiat 3.000 Euro sowie freien Wohn- und Arbeitsraum in Günter de Bruyns Wohnhaus an der Blabber.

Günter de Bruyn und sein „Abseits“

Günter de Bruyn (1926–2020), seit 2019 Ehrenbürger der Gemeinde Tauche und des Landkreises Oder-Spree, ist mit der Region um die Kreisstadt Beeskow seit 1968 eng verbunden. Mit Werken wie „Märkische Forschungen“, „Mein Brandenburg“, „Kossenblatt“ oder „Abseits – Liebeserklärung an eine Landschaft“ hat der Wahl-Görsdorfer diese Gegend deutschlandweit bekannt gemacht und ihr ein literarisches Denkmal gesetzt. Seit 2021 bemühen sich eine neu gegründete Stiftung und ein Freundeskreis, Leben und Werk von Günter de Bruyn wach zu halten. Dazu gehört u.a. auch, das Refugium des Autors, die alte Schäferei an der einstigen Blabbermühle, als Literatur- und Begegnungsort zu erhalten und weiter zu entwickeln.