Es gibt wohl keine deutsche Rockband, bei der Binnen- und Außenwahrnehmung so auseinanderklaffen wie bei den Scorpions. Schon wo die herkommen, Hannover – nichts ist uncooler. Okay, vielleicht noch Stuttgart. Wo sie in Deutschland wohnen, interessiert allerdings in der Welt keine Sau. Dort sind es die Rocker aus Germany, die genauso guten (oder abgedroschenen) Hard Rock machen wie die anderen Bands aus der Topklasse des Genres.
Tatsächlich werden die Scorpions auf der ganzen Welt gefeiert. Und wenn es die Deutschen nicht glauben wollen, dann erzählt es ihnen Sänger Klaus Meine gern auch noch zum hundertsten Mal.
Ex-Motörhead-Drummer Mikkey Dee ist ein Gewinn für die Scorpions
Den rund 17.000 Leuten in der gefüllten Berliner Mercedes-Arena musste er es am Dienstagabend nicht erklären. Sie glauben es sowieso und sie sind ja auch nicht skeptisch, sondern, im Gegenteil, selber Fans. Ihnen gilt der Prophet im eigenen Land noch was. Fakt ist, die Hannoveraner sind beliebter als es das Feuilleton zuweilen suggeriert. Daran ändert auch nichts, dass es tatsächlich Leute geben soll (ich kenne mindestens einen), die vor allem wegen des Drummers ins Konzert gekommen sind. Der heißt Mikkey Dee und ist der ehemalige Schlagzeuger von Motörhead. Ein Gewinn für die Band allemal, denn er gibt ihr aus dem Background ordentlich Power, wofür er am Ende gebührend gefeiert wird. Doch auch die anderen Bandmitglieder sind gut drauf, von Altersmüdigkeit kaum eine Spur.
Eigentlich erklärte die Band vor zehn Jahren ihren Bühnenabschied
Das 90-minütige Konzert beginnt mit „Gas in the Tank“ vom 19. Studioalbum „Rock Believer“, das vor gut einem Jahr erschienen ist. Es ist nicht so, dass die Scorpions nicht mehr mit neuen Songs um die Ecke kämen, obwohl sie schon vor über zehn Jahren erstmals ihren Abschied von der Bühne verkündet hatten. Um auf dem Höhepunkt abzutreten, wie Sängern Klaus Meine damals sagte. Man hätte gemeinsam entschieden, nicht warten zu wollen, bis man tot von der Bühne falle. Um es vorwegzunehmen, sie sind am Dienstag in Berlin nicht tot von der Bühne gefallen, sondern über die Bretter geturnt wie immer.
Klar, nicht mehr so agil wie vor über 50 Jahren, als sie in der deutschen Musikpresse noch als Krautrockband gehandelt wurden. Was ihnen damals gar nicht passte, da sie sich selbst im internationalen Wettbewerb mit Van Halen oder Aerosmith sahen. Aus dieser frühen Phase spielen sie in Berlin nichts, auch nichts von den beiden Songs von The Sweet, die sie 1975 unter dem Pseudonym The Hunters auf Deutsch gecovert hatten. Aus „Fox on the Run“ machten sie damals „Fuchs, geh’ voran“. Schade, hätte man gern mal gehört.
Natürlich gibt es „Wind of Change“ zu hören
Dafür gibt´s paar andere ältere Songs wie „The Zoo“ von 1980 oder „Coast to Coast“ und natürlich „Wind of Change“ von 1990, zu dem Klaus Meine vor nicht allzu langer Zeit klarstellen musste, dass er es komponiert habe und NICHT die CIA, wie die vielleicht schönste Verschwörungstheorie aus der Unterhaltungswelt (nach dem Dauerbrenner: Elvis lebt) behauptet. Angeblich ist innerhalb des US-Geheimdienstes damit geprahlt worden, dass eine Agentur den Song für die Deutschen komponiert habe, um die Sowjetunion und den Ostblock endgültig zu Fall zu bringen.
Wie auch immer, die Mär, dass der Song die Mauer hat einstürzen lassen, dürfte Klaus Meine gefallen. Bei den Russen ist der Song samt Band ja auch immer gut angekommen, umgekehrt war das Verhältnis ebenso herzlich. Seit dem Ukraine-Krieg hat sich die Stimmung zumindest bei den Rockern aus Hannover – anders als beim Altkanzler aus Hannover, mit dem Meine immer gut konnte – gedreht. Jetzt hat auch ihr Welthit eine andere Note, die der Ukraine huldigt. Ukrainische Fans im Publikum danken es der Band mit dem Schwenken der blau-gelben Fahne.
Auch Meine selbst – auf der Jeansweste hinten ein großes Peace-Zeichen – schwenkt mehrmals Fahnen, eine ukrainische und auch eine deutsche, die ihm ein Fan zum Song „Still Loving You“ auf die Bühne reicht. Als Rausschmeißer gibt’s „Rock You Like a Hurricane“ und zwischendurch die schönste, weil seltene Szene bei einem Konzert einer Hardrockband: Nach „Big City Nights“ bekommt Frontmann Meine aus dem Publikum Rosen überreicht wie einst die Barden bei der ZDF-Hitparade. Irgendwie rührend.