Die Lage zwischen Oranienburger Straße, Monbijou-Park und Museumsinsel könnte kaum exponierter sein, und trotzdem kennen nur wenige Berliner das historische Areal am ehemaligen Telegrafenamt. Nach fast zwanzig Jahren Planung und Restaurierung sind nun endgültig die letzten Bauzäune verschwunden.
Visavis der Jüdischen Synagoge kann man nun einfach durch die gebogenen Eingänge des Torhauses auf den ehemaligen Pakethof des zwei Jahrhunderte alten Kommunikations- und Wissenschaftsstandortes schlendern, der sich nach der Restaurierung seiner historischen Anbauten nun als großflächiger Stadtplatz entpuppt.
Bayerisches Bier zum selbst Zapfen
Umgeben von interessanten Gebäuden aus vier Jahrhunderten kann man sich dort auch als Nicht-Mieter mit einem Kaffee in einen der Liegestühle setzen und auf frisch angelegte Blumenbeete schauen oder sich auf der Sonnenterrasse des „Diesel“ gleich ein ganzes Holzfass mit bayerischem Bier zum Selberzapfen an den Tisch bringen lassen.
Der Name des neuen Restaurants (Cappuccino 4 Euro/Schweinebraten 18 Euro) inmitten des Areals verweist auf ein opulentes Dieselaggregat im Speiseraum, das angemessen gereinigt und auf einen Sockel gehoben und wie die historischen Gebäudehüllen für die Nachwelt bewahrt wurde.
Der gigantische Schiffsdiesel diente einst für die Not- und Ersatzstromversorgung des Geländes, damit die Berliner Postzentrale auch bei einem stadtweiten Stromausfall weiter funktionierte. In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte die Reichspost auf dem Gelände nahe dem S-Bahnhof Oranienburger Straße quasi die Kommunikationszentrale der Hauptstadt errichtet.
Die heutigen Bauherren bekamen die Auflage, bei der Sanierung der acht Bauten die älteste Rohrpostanlage Europas zu erhalten. Durch das insgesamt 250 Kilometer lange Röhrensystem wurden einst Nachrichten und Gegenstände in zylindrischen Behältern mittels Druckluft zu rund 100 Stationen befördert.
Bis zu 20.000 Telegramme täglich versendet
Teile der Anlage kann man nun im Foyer sowie im Restaurant des neuen Hotels besichtigen, das in das sanierte Telegrafenamt direkt am Monbijoupark eingezogen ist. Zwischen 1910 und 1916 entstanden, war das Haupttelegraphenamt der aufwendigste Postbau Deutschlands und Ankerpunkt des damals revolutionären Fernsprechnetzes. Ab 1918 wurden von hier aus täglich bis zu 20.000 Telegramme versendet.
Das neobarocke Gebäude wurde nun gründlich entstaubt und mit einer Inneneinrichtung versehen, die an die Serie Babylon Berlin erinnert. Das Doppelzimmer kostet auch schon unter der Woche über 200 Euro pro Nacht, die Maisonetten-Suite zwischen 700 und 800 Euro.
Richtig abheben kann man in der obersten Etage des Hotels, von der man durch die ovalen Fenster auf den Fernsehturm blicken kann. Eine Wendeltreppe verbindet den unteren Wohnbereich mit Acht-Personen-Esstisch mit dem oberen Schlafzimmer und der begehbaren Regenwalddusche. Für die 140 Quadratmeter große „Graham’s Residence“ sind dann 1.155 Euro pro Nacht zu berappen.
Hotel und das angeschlossene Restaurant „Root“ werden vom „Borchardt“-Betreiber Roland Mary gemeinsam mit Ernst Freiberger bewirtschaftet. Letzterer ist ein Unternehmer einer Eisproduzenten-Dynastie aus Bayern, der in Berlin-Reinickendorf eine riesige Pizza-Fabrik betreibt und mit seiner Investmentfirma auch schon den Spreebogen in Moabit revitalisiert und ausgebaut hat.
Immobilien werden vermietet statt verkauft
Das Gelände in Berlin-Mitte hat Freiberger vor 20 Jahren gekauft und behutsam entwickelt. Dass der 72-Jährige nur vermietet und nicht weiterverkauft, sorgte vielleicht auch dafür, dass die einzelnen Gebäude durchaus mit Liebe zum Detail instandgesetzt wurden. Vieles hat Freibergers Frau, Innenarchitektin, selbst entworfen.
Dazu engagierte der Unternehmer unter anderem einen Kirchenmaler, der die Treppenaufgänge in der „Residenz Monbijou“ aufhübschte. In dem 1906 eröffneten Stadtpalais, das später von der Frauenklinik der Charité genutzt wurde, sind nun exklusive Wohnungen entstanden. Gleiches gilt für das neoklassizistische „Simon Palais“ an der Spreepromenade, das 1911 von der gleichnamigen Stiftung als großzügige Krankenstation für bedürftige Frauen und Mädchen errichtet wurde.
Ansonsten sind es weitestgehend Büroräume zu Quadratmeterpreisen von monatlich 20 bis 40 Euro, die auf dem Areal entstanden sind. Google hat schon 2019 das „Gropius Ensemble“ bezogen, das zwischen 1879 und 1983 von Martin Gropius und Heino Schmieden errichtet und von David Chipperfield vor ein paar Jahren umgebaut wurde.
Im backsteinfarbenen 1926 errichteten „Fernsprechamt“ an der Tucholskystraße, das nach dem Krieg um das Institut für Post- und Fernmeldewesen der DDR erweitert wurde, hat der Lieferdienst Delivery Hero seine Berlin-Zentrale mit rund 3000 Mitarbeitern bezogen.
Letztes erhaltenes Ordenshaus Deutschlands
Nur der ehemalige Sitz der „Großen Landesloge der Freimaurer Deutschlands“ direkt an der Oranienburger Straße ist noch nicht vermietet. Der 1789 errichtete klassizistische Bau gilt als letztes erhaltenes Ordenshaus Deutschlands.
Die Historie der Gebäude können Spaziergänger auf Infotafeln an den sanierten Fassaden nachlesen. Das traditionsreiche Areal ist auch von der Museumsinsel über die Monbijoubrücke gut zu erreichen. „Wichtig ist uns zu zeigen, dass das hier kein geschlossener Gebäudekomplex mehr ist, sondern erstmals in seiner Geschichte ein Teil des Kiezes“, erklärt Michael Schürer, Geschäftsführer des Forums an der Museumsinsel, bei der Eröffnung des Areals Ende April.
Die wurde dann auch gleich mit einem zweitägigen Fest mit Musik und Kulturprogramm für alle begangen. Damit sich auf dem neuen Stadtplatz auch künftig nicht nur die Anrainer treffen und wohlfühlen, wolle man seine Gestaltung den Jahreszeiten anpassen und so ganzjährig eine hohe Anziehungskraft bieten. Das bunte Blumenmeer solle dabei derzeit das Frühlingserwachen ankündigen. „Im Sommer wird ein Springbrunnen als ,Kinderwaschanlage‘ dienen, und im Herbst feiern wir das Oktoberfest mit Mietern und Nachbarn“, erklärt Schürer. Zur Weihnachtszeit werde es dann neben einem großen Tannenbaum gemütliche Hütten sowie eine Eisbahn für alle geben.