Zwei Tage vor der Bundestagswahl haben mehrere tausend Menschen zusammen mit der Initiative Fridays for Future am Freitag in Berlin für mehr Klimaschutz demonstriert. Sie versammelten sich am Mittag auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude, in dem der Bundestag seinen Sitz hat.
Applaus für Rede von Greta Thunberg
Die schwedische Initiatorin von Fridays for Future, Greta Thunberg, hat Deutschland kurz vor der Bundestagswahl als „einen der größten Klima-Bösewichte“ bezeichnet. „Deutschland ist der viertgrößte Kohlenstoffdioxid-Emittent in der Geschichte, und das bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen“, sagte Thunberg am Freitag vor dem Bundestag. „Deutschland ist objektiv gesehen einer der größten Klima-Bösewichte.“
In ihrer Rede, die von Applaus und Zustimmung begleitet wurde, forderte sie eine Veränderung des „Systems“. Man könne sich aus der Krise nicht „herausinvestieren, bauen oder kaufen“, so Thunberg. „Und je länger sie so tun, als könnten wir die Krise innerhalb des heutigen Systems lösen, desto mehr Zeit verlieren wir.“
Thunberg verließ am Nachmittag gemeinsam mit der deutschen Klimaaktivistin Luisa Neubauer unter Polizeischutz den Platz vor dem Reichstagsgebäude, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Zuvor hatten drei Männer die Klimaaktivistin bedrängt und beleidigt.
Junge Klimaschützer auf Demos in Brandenburg
Auch in Brandenburg haben tausende junge Menschen im Rahmen des globalen Klimastreiks für mehr Klimaschutz demonstriert. Im ganzen Land seien rund 6000 Teilnehmer in 21 Städten und Gemeinden bei Mahnwachen und Demonstrationen auf die Straßen gegangen, sagte der Sprecher von Fridays for Future Brandenburg, Filibert Heim, am Donnerstag. Die größte Demonstration sei mit rund 3000 Teilnehmern durch die Potsdamer Innenstadt gezogen. Die Polizei äußerte sich nicht zu Teilnehmerzahlen.
Die Demonstranten wollten mit ihren Aktionen vor der Bundestagswahl den Druck auf die Parteien erhöhen, konsequente Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung zu ergreifen. „Die Wahlentscheidung jeder einzelnen Person von uns ist ausschlaggebend für die Zukunft unseres Planeten“, betonte Heim.
Ernteausfälle, Dürreperioden und Flutkatastrophen zeigten auch in Deutschland die Notwendigkeit auf, schnell und konsequent zu handeln, sagte Anna Ducksch, Sprecherin der Ortsgruppe Potsdam. „Es braucht einen Kohleausstieg deutlich vor 2038 - nämlich spätestens 2030.“
Weltweiter Protest für den Klimaschutz
Die
Aktivisten von
Fridays for Future rufen für diesen Freitag zu ihrem achten
weltweiten Protest für mehr
Klimaschutz auf. Wie die Organisation am Donnerstag mitteilte, sind mindestens
1400 „Klimastreiks“ und Aktionen in mehr als
80 Ländern geplant. In allen Ländern der EU wollen die Aktivisten auf die Straße gehen, um von den politisch Verantwortlichen eine ambitioniertere
Klimaschutzpolitik zu fordern.
Auch in Deutschland wollen die Klimaschützer nur zwei Tage vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag ein deutliches Zeichen setzen und die Menschen für das Thema sensibilisieren. Bisher seien mehr als 450 Aktionen in allen Bundesländern angemeldet. Besonders große Kundgebungen erwarten die Organisatoren in Hamburg, Berlin, Freiburg und Köln.
Auch Greta Thunberg vor Berliner Reichtstag
Unter dem Motto „
Alle fürs Klima“ haben sich dem Protest nach Angaben von Fridays for Future auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie
Umweltverbände und Kirchen angeschlossen. Darüber hinaus sollen sich auch mehr als
4000 Unternehmen beteiligen. Die letzte weltweite Protestaktion war am 19. März dieses Jahres.
Die französische Klima-Expertin Laurence Tubiana warnte vor den hohen finanziellen Folgen, die ein Zögern in der Klimaschutzpolitik für die Gesellschaft haben könnte. Weltweit sei dieses Jahr für die Naturkatastrophenversicherungen bereits das teuerste seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 gewesen, sagte die Ökonomin und Geschäftsführerin der European Climate Foundation am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Tubiana sagte, auch für die deutschen Versicherer könne es angesichts von Extremwetterereignissen wie der Flut in diesem Sommer das teuerste Jahr seit langem werden.
Kritik an Diskussion über Klimapolitik
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisierte die Diskussion über die Klimapolitik im Wahlkampf als einseitig auf nationale Maßnahmen ausgerichtet. „Wir diskutieren in Deutschland im Wahlkampf leider oft sehr national und kleinteilig, damit sind wir nicht auf dem richtigen Weg unterwegs“, sagte sie der „Augsburger Allgemeinen“ (Freitag). „Es wäre kontraproduktiv,
Deutschland klimaneutral zu machen, wenn gleichzeitig Unternehmen abwandern, unsere Innovationskraft sinkt und sich außerdem
Emissionen nur verlagern, also andere Länder mehr Emissionen ausstoßen.“
Der Deutsche Lehrerverband kritisierte die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an den Protestaktionen. „Wir lehnen es ab, dass die Schulpflicht zugunsten politischer Aktionen - etwa im Rahmen eines sogenannten Klimastreiks - aufgehoben wird“, sagte Präsident Heinz-Peter Meidinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Er begründete dies mit der Gefährdung der notwendigen politischen Neutralität des Staates, der für den Schulbetrieb verantwortlich sei. „Es stellt sich ansonsten die Frage, für welche politischen Aktionen man schulfrei bekommen würde und für welche nicht. Darf man dann auch bei einer Demo gegen den Welthunger, für den Frieden in der Welt, für die Befreiung Palästinas oder gegen "Überfremdung" schulfrei nehmen?“, so Meidinger. „Die Schule darf nicht zwischen "guten" erlaubten und "schlechten" unerlaubten Aktionen unterscheiden.“
Aktivistin Luisa Neubauer fordert schnelles Handeln
„Jetzt für einen Streik den
Unterricht zu schwänzen, ist nicht angemessen“, sagte Meidinger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitag). Schüler, die eine Klassenarbeit oder eine Klausur versäumten, riskierten eine Sechs.
Neubauer forderte die nächste Bundesregierung zum Handeln auf: „Die kommende Legislaturperiode ist historisch. In den nächsten vier Jahren muss Klimaschutz schneller, gerechter und konsequenter umgesetzt werden als jemals zuvor“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Kritik an Kanzlerkandidaten Laschet und Scholz
Luisa Neubauer hat bei der großen Fridays for Future Demonstration in Berlin die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) für ihre Klimapolitik kritisiert. „Einen Sommer lang musste sich Olaf Scholz anhören, dass sein durchgeknallter Plan Kohle bis 2038 laufen zu lassen, zum Scheitern verurteilt ist“, sagte Neubauer am Freitag auf der Bühne vor dem Reichstagsgebäude. „Wir haben die Parteien dazu gezwungen, einen Sommer lang über Klimapolitik zu reden, obwohl ihre Programme dafür nicht ausreichen und das wissen sie auch selbst. Kein Wunder, dass Sie dann lügen müssen, Herr Laschet.“
Scholz bittet um Hungerstreik-Abbruch
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat die letzten Klimaaktivisten im Berliner Hungerstreik aufgerufen, die Aktion abzubrechen. Im Schlussspurt des Bundestagswahlkampfs wiederholte Scholz am Freitag in Münster das Angebot an die jungen Leute, nach der Wahl mit ihnen ein Gespräch zu führen. Auf die neue Forderung zweier Aktivisten, Scholz solle den Klimanotstand ausrufen, ging der Kanzlerkandidat nicht ein.
Eine Gruppe junger Erwachsener hatte am 30. August in Berlin einen Hungerstreik für eine radikale Klimawende begonnen. Damit wollten sie unter anderem ein öffentliches Gespräch mit den Kanzlerkandidaten Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU/CSU) und Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstagabend erreichen. Da die Politiker nicht zusagten, brachen die meisten Aktivisten ihren Hungerstreik diese Woche ab.
Eine junge Frau und ein junger Mann fasten weiter und drohen damit, ab Samstagmorgen auch die Aufnahme von Flüssigkeit zu verweigern - es sei denn, Scholz rufe vorher öffentlich den Klimanotstand aus.
Nach dieser Ankündigung war am Donnerstagabend Grünen-Chef Robert Habeck ins Camp der Klimaaktivisten in der Nähe des Reichstags in Berlin gekommen und hatte die beiden dringend gebeten, den Hungerstreik abzubrechen und nicht noch zu verschärfen. Nach Angaben einer Grünen-Sprecherin kam später auch noch Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ins Camp und sprach mit den jungen Leuten, die den Hungerstreik beendet hatten. Eine Sprecherin der Aktivisten bestätigte dies.
Politisches Versagen mache den Hungerstreik erst nötig
Kurz vor den Demonstrationen hat eine Sprecherin der Initiative den Hungerstreik von Klimaaktivisten in Berlin im Grundsatz verteidigt. Jeder könne selbst darüber entscheiden, was ein legitimes Mittel des Protestes sei, sagte Carla Reemtsma dem Sender RTL/NTV. „Ich finde es vor allem erstmal erschütternd, dass junge Menschen in Anbetracht des politischen Versagens, das wir im Bereich der Klimakrise erleben, das Gefühl haben, zu diesem Mittel greifen zu müssen.“ In der Klimabewegung stehe man für dieselben Ziele ein, so Reemtsma. Fridays for Future rufe allerdings nicht zum Hungerstreik auf.
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Informationen zur Bundestagswahl 2021 finden Sie auf unserer Themenseite.
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