Dem Palast der Republik in Berlin trauern nach seinem Abriss noch heute einige Menschen nach. Was vielen nicht bekannt ist: Der einstige Sitz der Volkskammer der DDR mit seiner markanten kupferfarbenen Glasfassade hat im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen einen Doppelgänger mit einiger Ähnlichkeit. Ihm droht nun ein vergleichbares Ende wie dem Palast der Republik.
„Das Gebäude soll nach dem Auszug der Berliner Sparkasse abgerissen werden, da es nicht den heutigen energetischen und funktionalen Standards entspricht“, erklärt Laura Sander vom Bezirksamt Mitte. Der Abriss sei in der zweiten Jahreshälfte 2024 geplant.
Quartier am Humboldthain geplant
Die Investmentgesellschaft Coros will auf dem 6,5 Hektar großen Gelände ab 2025 das „Quartier am Humboldthain“ errichten, mit einem „Nutzungsmix aus Wissenschaft, Labor, Büro und Produktion“. Es soll den Angaben zufolge das größte Gewerbequartier innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings werden. Dafür muss der „Mini-Palast“ weichen.
Der Weddinger Autor Rolf Fischer bedauert den geplanten Abriss. Er hat dem Mini-Palast der Republik im Magazin „Weddingwegweiser“ einen ganzen Beitrag gewidmet. „Vor mir steht ein Wiedergänger: der Palast der Republik, Erichs Lampenladen! In dunklen Kupfertönen glänzt die gerasterte Thermoverglasung, die sich wie ein Band um das ganze Gebäude zieht“, heißt es dort. Und: „Totgesagte leben länger. Oder ist er gar nicht tot? Hat er heimlich „rübergemacht“ und Asyl im Westen bekommen?“
Nixdorf-Gebäude war Produktionsstätte für Großrechner
Rübergemacht hat er nicht: Der Paderborner Computerhersteller Nixdorf ließ das Gebäude in den 1980er Jahren als Produktionsstätte für Großrechner mit Platz für 6000 Mitarbeiter errichten. Das Werk galt damals als eine der größten Neuansiedlungen der Nachkriegsgeschichte Berlins. Als Heinz Nixdorf und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) 1984 den Grundstein legten, war sogar die Rede vom „Silicon Wedding“ - auch wegen der umliegenden Unternehmen auf dem historischen Industriegelände der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG).
„Es war damals wohl eines der modernsten Produktionsgebäude in Berlin“, erinnert sich der ehemalige Einkaufsleiter bei Nixdorf, Martin Döller. „Es war komplett klimatisiert, in den riesigen Wintergärten gab es Kantinen und Büros und Produktion lagen ganz nah beieinander. Die braune Glasfassade hielt die Wärme draußen“, so Döller, der bedauert, dass das Nixdorf-Gebäude abgerissen werden soll. „Aber nun soll wohl die Flächenausnutzung optimiert werden“, sagt er.
Ähnlichkeit zum Palast der Republik eine Frage des Zeitgeists
Dass der kleine Palast dem großen Bruder, der 1976 eröffnet wurde, so ähnlich sieht, dürfte auch keine politischen Hintergründe haben, sondern dem Interesse des Bauherrn an moderner Architektur geschuldet sein. Christian Berg vom Paderborner Heinz Nixdorf MuseumsForum spricht von einem „besonderen Nixdorf-Architekturstil“. Dieser sei für Werksvertretungen und Produktionswerke weltweit in den 1970er- und 1980er-Jahren umgesetzt worden, egal ob in Dortmund, München, Wien, Brüssel, Bray (Irland), Lyon oder North Reading (USA).
„Keine zwei Nixdorf-Gebäude sind gleich, doch haben alle eine Familienähnlichkeit. Typisch sind gerade Linien, rechte Winkel und viel Glas; dazu kommt ein modularer Aufbau“, heißt es in einem Beitrag des Museumsforums. Heinz Nixdorf war demnach ein großer Anhänger des Architekten Mies van der Rohe, dessen Stil er in den USA kennen und schätzen gelernt hatte.
Das Nixdorf-Werk in Gesundbrunnen war laut dem heutigen Eigentümer Coros nur bis Anfang der 1990er Jahre in Betrieb. Es steht auch nicht unter Denkmalschutz - anders als die benachbarten AEG-Industriebauten. Sie sind das Herz des Technologieparks Humboldthain (TPH) mit etwa 150 Unternehmen.
„Zusammen mit dem TPH ist das neue Quartier einer der elf Berliner Zukunftsorte“, erklärt Laura Sander vom Bezirksamt Mitte. Es solle eine enge Vernetzung mit den schon heute im TPH ansässigen Firmen und Forschungsinstituten erfolgen. „Zusätzlich sind für das Quartier öffentlich nutzbare Freiräume mit hoher Aufenthaltsqualität, neue Durchwegungen sowie eine zentrale Grünfläche geplant“, erklärt sie.
Nixdorf-Haus ein Juwel der Weddinger Industriearchitektur
Für Rolf Fischer ist das alte Nixdorf-Gebäude ein „Juwel der Weddinger Industriearchitektur“. „Die Energieeffizienz ist natürlich Null und wahrscheinlich wird man auch noch Asbest finden. Aber Gebäude wie diese verschwinden unwiederbringlich. So viel Licht wie man für die Menschen dort hineinbekommt, kriegt man mit den Schießschartenbauten, die man in Berlin heute errichtet, nicht mehr“, sagt Fischer.
Die Immobiliengesellschaft Coros gibt laut Sprecherin Camilla von Meerheimb zum geplanten Abriss des Nixdorf-Gebäudes keine Stellungnahme ab.
„In Berlin gibt es viele Gebäude, die nicht energieeffizient sind und trotzdem reißt man sie nicht ab. Wie viel Energie kostet es, neu zu bauen und wie viele Jahre dauert es, bis man unterm Strich Energie spart?“, fragt Fischer. Es sei klar, dass das große Gelände genutzt werden müsse. „Selbst wenn dieser Bau da stehen bleibt, bleibt noch genug Platz. Eine Nutzung könnte sich auch an diesen Bau anpassen“, meint der Weddinger. Den Leuten im Kiez bringe das geplante Areal nichts - weder Wohnungen noch Supermarkt.
Auch Anwohnerin und Kiezreporterin Dominique Hensel bestätigt, dass die nicht geplanten Einkaufsmöglichkeiten für viele Anwohner das größte Problem seien. Am Nixdorf-Gebäude hänge kaum jemand. „Kaum jemand weiß, dass es überhaupt existiert oder dass da die Landesbank sitzt. Das ist komplett unter dem Radar der Anwohner“, sagt sie. Die Gustav-Meyer-Allee werde von vielen Menschen in Gesundbrunnen kaum genutzt.
„Früher konnte man das Gebäude von der Brunnenstraße aus sehen, durch das historische AEG-Beamtentor hindurch. Es war ein majestätischer Anblick“, erinnert sich Klaus Döller. Doch inzwischen versperre ein neuer Gebäudekomplex diesen Blick.
Hensel nennt das Gebäude ebenfalls gern „Palast der Republik“. Der Begriff sei aber eher unter den Ostdeutschen in der Nachbarschaft geläufig. „Ich glaube, eine Demonstration wird es nicht geben, wenn er abgerissen wird.“
Die Berliner Sparkasse wird laut Sprecherin Julia Lehmann einen ihrer zwei zentralen Standorte nach Johannisthal verlegen. „Der neue Standort bietet uns perspektivisch eine offene Campusstruktur, die mehr Austausch und innovatives Zusammenarbeiten ermöglicht“, nennt sie einen der Gründe für den Umzug.