Rau, zerklüftet, aufgebrochen; hier schiebt sich etwas, dort gibt etwas nach, wenig Glattes ist da und auch nichts Gefälliges. Statt dessen Verletzlichkeit und Wundsein in der Welt, dann wieder Kraft und Energie, ein Drehen und Drängen, Abschließen und neu Ansetzen. Sylvia Hagen selbst sagt: „Ich mache keine Menschen, sondern Gegenstände, die etwas ausdrücken, etwas, das mich berührt.“
Schockstarre. Erst einmal. Aber auch „eine Art Ehre“. So beschreibt sie das Gefühl, als jüngst die Nachricht kam: Nach zwei Brandenburgischen Kunstpreisen (2006/2017) für ihre Arbeiten soll nun ihr Lebenswerk geehrt werden. Hochtrabend, sagt sie, klinge das – und irritierend. Nicht zuletzt, wenn man als Künstlerin in Leben wie in Werk noch mittendrin steht. Dass Sylvia Hagen sich dann doch vor allem freut, hat vielleicht mit ihrer Sympathie für das Gesamtprojekt zu tun. Sie mag die Preisträger-Ausstellungen in Neuhardenberg, hat selbst schon die Sieger-Plastik entworfen und wiederholt in der Jury mitgewirkt. Im Kreise der bisher Geehrten fühlt sie sich gut aufgehoben – und nicht zuletzt: „Es ist ja kein Grund, aufzuhören.“ Wie auch? „Das Bildnerische“, sagt Sylvia Hagen, „ist mein Leben, ist mein Denken.“
Studium der Medizin
Auf der Hand gelegen hat das nicht. 1947 in Treuenbrietzen in eine Handwerkerfamilie hinein geboren, hat sie in der Schule zwar einen guten Kunsterzieher. Der Einblick in mögliche Berufsfelder aber ist klein. Kurzum: „Es gab ein großes Krankenhaus, und als 17-, 18-Jährige wollte ich Menschen helfen.“ Ohne recht zu ahnen, worauf sie sich da einlässt, entscheidet Sylvia Hagen sich für Medizin – und hält zwei Jahre durch. Zwei Jahre, aus denen ihr vor allem das Wissen um den menschlichen Körper und seine Funktionsweise bleibt. Für die Kunst wird es zum Grundstock: Schon während des Studiums hat sie begonnen zu zeichnen, ist mit Bildhauern befreundet, arbeitet später mit in deren Ateliers. Warum also es nicht selbst versuchen?
1971 wird Sylvia Hagen an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee aufgenommen, lernt bei Fritz Dähn, Karl Lemke, Karl-Heinz Schamal, Werner Stötzer. Mit drei Kommilitonen ist sie im Studienjahr, arbeitet sich nicht nur am Figürlichen ab, sondern zum zweiten Mal an Marx und Lenin, durchläuft alle Kunstgattungen und -techniken – und bleibt doch bei der Bildhauerei. Ein Stipendium des Berliner Magistrats ermöglicht es ihr und einigen Mitstudenten nach dem Diplom, ohne Druck weiter zu arbeiten – bei der abschließenden Präsentation unterm Fernsehturm wird ihre Plastik, die aus der Diplomarbeit heraus entstanden ist, verkauft. „Ich dachte“, sagt sie, „so geht es nun weiter. Ging es aber nicht.“
Ein altes Pfarrhaus wird zum Refugium
Erst Anfang der 1980er-Jahre kann Sylvia Hagen richtig in die Arbeit einsteigen. Die Gründe dafür liegen eher im Privaten: Seit 1976 lebt sie mit ihrem früheren Lehrer, dem Bildhauer Werner Stötzer (1931-2010), zusammen; zwei Jahre später kommt Sohn Karl auf die Welt. 1979 gesellt sich zur Berliner Parterre-Wohnung dann ein ruinöses Pfarrhaus im Oderbruch, in das das Paar sich nach längerer Suche sofort verliebt und beginnt, es herzurichten. Statt Gips anzurühren, schwingt Sylvia Hagen dort nun mit zwei Freundinnen regelmäßig Maurerkelle und Malerquaste.
Es ist also das Leben, nicht der große, erfahrene Bildhauer an ihrer Seite, der sie anfangs ausbremst. „Ich hatte das Selbstbewusstsein, dass ich das machen will“, sagt sie heute. „Nur Hausfrau zu sein, war nicht in meinem Denken – und in Werners auch nicht. Er hat mir meinen Spielraum gelassen.“ Ein Geben und Nehmen – für beide Künstler, manchmal rau. Ein Schlagabtausch. Später, als sie wie er in Stein arbeitet, wird es schwieriger. „Der Vergleich und die immerwährende Nähe – das hat mich schon irritiert.“
Bis Mitte der 1990er-Jahre die Erlösung kommt. Bei einem Symposium entdeckt Sylvia Hagen den Brennton als Material für sich, sieht, wie man architektonisch mit ihm arbeiten kann – und lässt den Stein von da an liegen. Statt „Bilder“ zu „hauen“, baut sie sie nun in Schichten auf, in Ton meist, aber auch in Gips. „Oft“, sagt sie, „gehe ich dabei von einer Stimmung aus, und da man in der Bildhauerei länger arbeitet, verändert sich die Stimmung. Dann verändert sich auch die Plastik, und manchmal öffnen sich ganz neue Sichten. So ist die Arbeit für mich ein beruhigender Zustand, der mich gleichzeitig beunruhigt.“
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Sylvia Hagen hat ihr künstlerisches Feld gefunden – und bestellt es noch immer auf dieselbe Weise. „Ich arbeite mit dem ältesten Material der Welt, dem Ton, da hat sich in den vergangenen Jahren bis auf die Brennmethode wenig geändert.“ Was sich ändere, sei die Kraft, sei die Sichtweise bei der Arbeit. Und die Form verändert sich. Was einst begann in Ausgewogenheit von Ruhe und Bewegung, hat sich über die Jahrzehnte immer mehr von jedem Maß an Harmonie entfernt. „Früher waren meine Arbeiten geschlossener, dann offener“, sagt die Künstlerin. „Und heute weiß ich gar nicht mehr, was es ist, was ich da mache.“ Wichtig sei die Spannung: „Ich brauche eine gewisse Aggressivität beim Arbeiten.“ Vielleicht auch deshalb mag sie Wettbewerbe; vor allem aber sind ihr deren jeweilige Themen – egal ob Hauptmann, Kleist oder das Evangelium – willkommene Anregung und Inspiration. Ebenso wie der Kontakt mit ihren Künstlerkollegen und -kolleginnen. „Und die Kunstgeschichte: Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mir nichts ansehe.“
Manchmal allerdings, da braucht es Ablenkung von der Bildhauerei. In ihrem lichten Atelier hinterm Pfarrhaus, mit Blick über die Felder, wendet Sylvia Hagen sich dann dem Papier zu, macht Gouachen oder Radierungen. Und sie zeichnet Akte, gern mit Kohle, die selbst in der Andeutung noch stark wirken und klar. Sie fassen den Betrachter an – so wie ihre Bronzen und Terrakotten mit ihren Narben und Einschlüssen, den Höhlen und offenen Enden. „Kunst“, ist Sylvia Hagen überzeugt, „kann nichts verändern. Aber sie kann den Einzelnen sensibilisieren, ein Zufluchtsort sein.“ Einer, der zu zeigen vermag, dass die Schönheit nicht nur im ewigen Gleichklang liegt – oder wie die Bildhauerin selbst es sagt: „Auch das Eckige kann schön sein.“
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