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Jan Plewka in Frankfurt (Oder): Selig-Sänger singt Songs von Rio Reiser – wann und wo das Konzert zu erleben ist
Der Selig-Sänger Jan Plewka interpretiert demnächst auf einem Konzert in Frankfurt (Oder) die frühen Stücke von Rio Reiser und seiner Band Ton Steine Scherben.
Er macht das schon eine ganze Weile. Im Jahr 2006 hat Jan Plewka angefangen, Lieder von Rio Reiser (1950-1996) zu interpretieren. Am Hamburger Schauspielhaus hatte es damals angefangen, in seiner Heimatstadt, und entwickelte sich zu einem echten Dauerbrenner, mit dem er bis heute in ganz Deutschland gebucht wird.
Das Programm hat sich dabei im Laufe der Jahre entwickelt. Derzeit sind es die Songs von Reisers Band Ton Steine Scherben, die im Mittelpunkt stehen. „Wann, wenn nicht jetzt“ ist der sehr politische, gleichwohl poetische Liederabend betitelt, mit dem Jan Plewka einem der wichtigsten Liedermacher der deutschen Musik im 20. Jahrhundert ein Denkmal setzt.
Vom Polit-Rock zur Balladenkunst
Rio Reiser, Ikone der deutschsprachigen Liedkunst und des politischen Protestes.
Nach heißen Jahren in Berlin-Kreuzberg, als Ton Steine Scherben mit Liedern wie „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ (1970) und „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ (1972) das musikalische Sprachrohr der außerparlamentarischen Linken waren und den Soundtrack für Hausbesetzer-Protestaktionen geliefert hatten, hat sich die Band Mitte der 1970er-Jahre auf einen alten Bauernhof im beschaulichen Fresenhagen zurückgezogen, kurz vor der dänischen Grenze in Nordfriesland gelegen. Die Texte wurden romantischer, intimer, zarter, sie hießen „Land in Sicht“ oder auch „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ (1975).
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Als Rio Reiser 1986 sein Solo-Debüt „Rio I.“ veröffentlichte, war die Kultband hoch verschuldet. Der kommerzielle Durchbruch des Frontmannes mit Liedern wie „König von Deutschland“, „Junimond“ und „Menschenfresser“ bedeutete das Ende der Scherben, die dennoch längst ungezählte Nachahmer gefunden hatten. Kaum eine deutsche Band sollte sich als so einflussreich wie die Scherben erweisen – getoppt allenfalls, in einem internationalen Kontext, von Kraftwerk aus Düsseldorf und CAN aus Köln.
Wie einflussreich Rio Reiser und die Scherben waren, das ist nicht zuletzt den Alben von Jan Plewkas eigener Band Selig anzuhören. Erinnert nicht „Ohne Dich“, die herzerweichende Liebesschmerzballade von deren 1994er-Debütalbum, in Arrangement und Grundstimmung ungemein an „Junimond“? Ist da nicht bei beiden Bands ein entschiedener Wille zu Pathos und ideellem Überschuss zu spüren?
Jan Plewka verleiht im Telefoninterview seiner Verblüffung darüber Ausdruck, wie sehr gerade die politischen Texte von Rio Reiser heute noch – oder wieder – aktuell sind: „Das System hat sich nicht verändert. Das ist ehrlich gesagt noch schlimmer geworden.“ Er sinniert über den brutalen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zitiert dabei aus dem Text von „Der Traum ist aus“: „Ich hab` geträumt, der Krieg wär` vorbei. Du warst hier und wir war`n frei. Es gab keine Waffen …“ Lieder wie diese, so Plewka, „haben sich eingebrannt, weil sie die Zeit aufzeigen“.
Und dennoch sei da in der Poesie von Rio Reiser immer ein Lichtstreif am Horizont: „Er taucht nach den Dämonen, aber es ist immer ein Hoffnungsschimmer da.“ Eine Spannung, die Plewka unbedingt auch bei dem Konzert im Kleist Forum in Frankfurt (Oder) heraufbeschwören und erfahrbar machen möchte. „Es gibt niemanden, der Politik und Romantik so sehr zusammenbringen konnte wie Rio Reiser.“ Es sind auch nach einem halben Jahrhundert noch ergreifende Plädoyers für einen umfassenden Sinneswandel und für Pazifismus.
Aber was kann das konkret für den Krieg in der Ukraine bedeuten – wem will Jan Plewka die alten Friedensbotschaften von Reiser und Co. vorsingen? Das sind Kategorien, in denen Plewka nicht denken mag. „Ich bin nur ein Erdenbürger, ohne einen Staat“, so der 1974 geborene Sänger. „Er meinte das universell.“
Kein Rio-Reiser-Double, aber ein Geistesverwandter
Könnte man mit solchen expliziten politischen Texten heute auch noch Tritt fassen im Musikgeschäft?
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Jan Plewka ist davon überzeugt und verweist auf engagierte aktuelle Musik wie zum Beispiel die von Danger Dan. Und betont doch, dass Ton Steine Scherben für den deutschsprachigen Raum den Weg dafür bereitet haben, „dass Musik Freiheit repräsentieren kann“.
Plewka vermutet, dass Rio Reiser gerne noch mehr Balladen im Stil von „Junimond“ gesungen haben würde, wenn ihm mehr Zeit vergönnt gewesen wäre. „Zum Schluss ist er vielleicht noch mehr zum Singer/Songwriter geworden.“
Die Ähnlichkeiten zwischen Rio Reiser und Jan Plewka gehen bis ins Detail, bis in die Phrasierung der Melodiebögen hinein: Pathos und Intimität, Zorn und Gefühlsüberschwang sind bei beiden jederzeit spürbar.
Der Spätgeborene legt aber dennoch Wert darauf, dass er während der Auftritte nicht zum Rio-Reiser-Impersonator wird. Er verkleidet sich nicht, er ahmt nicht dessen Akzent nach. Er geht als Jan Plewka auf die Bühne. Aber gemeinsam mit seiner Band, der Schwarz-Roten Heilsarmee, spielt er ganze Konzerte von Ton Steine Scherben nach; er lässt den Geist jener Zeit wieder auferstehen.
Randale, Bambule, Hamburger Schule?
Selig galten in den 90er-Jahren als die deutschen Vertreter des Grunge-Booms, ihre Musik bediente sich zudem erkennbar am Heavy- und Blues-Rock der späten 60er- und frühen 70er-Jahre. Die Gitarre von Christian Neander klang hin und wieder nach Jimi Hendrix, die Riffs auch schonmal nach Led Zeppelin, oder nach den ebenfalls in den 90er-Jahren erfolgreichen amerikanischen Retro-Rockern Black Crowes.
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Deutsch gesungene Rockmusik erhielt mit Selig eine offenkundig von vielen lange vermisste dreckige, unpolierte Seite. Hinzu kam ein Schuss Psychedelic. Das Quintett ging mit Kriegsbemalung und in Retro-Klamotten auf die Bühne, sie verbreiteten ein Räucherstäbchen- und Hippie-Jam-Session-Flair, ihr Riff-Rock kam aus der Hüfte.
Damit gerieten Selig zugleich in den Gegensatz zu den Bands der Hamburger Schule. Die galten textlich als Intellektuelle der Rockmusik, bedienten sich mit ihren einfach gestrickten Songstrukturen aber eher im Punk und Post-Punk.
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Es war ein nicht zuletzt von der Presse konstruierter Gegensatz, findet Plewka heute. Klar: Seine Band hatte frühzeitig einen gut dotierten Plattenvertrag bei einem Major Label, während die Sterne, Blumfeld und Tocotronic demonstrativ die Independent- und Underground-Zugehörigkeit gefeiert haben. Mehr sei da aber auch nicht gewesen. „Das ist jetzt alles auch schon richtig lange her“, sagt Jan Plewka. Persönlich sieht er sich als „Kind der 80er-Jahre“, der sich bei Depeche Mode und The Cure immer noch in die eigene Jugend zurückversetzt fühlt.
Mit seinem Freund Marco Schmedtje hat er erst unlängst ein 80er-Jahre-Coveralbum aufgenommen. Mainstream-Klassiker wie „Africa“ von Toto stehen da in schöner Eintracht mit Songs von Wave-Punk- und Synthie-Pop-Bands, die den damals noch arg marginalisierten Randgruppen ein Forum verschafften.
So etwa „Smalltown Boy“ von Bronski Beat; ein Lied, in dem das Schicksal schwuler Heranwachsender verarbeitet wird, die in ihrem provinziell-konservativen Umfeld nicht die Akzeptanz und die Liebe finden können, die sie so dringend brauchen. Es sind einfache, klare, eindringliche Coverversionen, meist nur mit einigen akustischen Gitarrenspuren und etwas behutsamem Backgroundgesang unterlegt.
Frühe Begeisterung für die „Scherben“
Auch Ton Steine Scherben und Rio Reiser waren schon früh in Plewkas Blick geraten, sie waren ein Soundtrack seiner Teenager-Jahre. Privat hört der Familienvater, der nach Jahren in Schweden inzwischen wieder am Rande von Hamburg lebt, sich heute aber eher Jazz- und Bossa-Nova-Musik an.
Auf seinen jüngsten Eigenkompositionen zeigt Plewka sich durchaus auch umweltbewegt. Das Selig-Album „Myriaden“ von 2021 sei ganz klar von den Debatten um Klimawandel und Ressourcenverbrauch bestimmt gewesen. Durch seine Kinder ist er mit der „Fridays for Future“- und „Extinction Rebellion“-Bewegung in Berührung gekommen. Ein Schlüsselerlebnis, das auch ihn über seine eigenen, wenig zukunftsfähigen Verhaltensweisen nachdenken ließ. Er sagt, er habe sich im Rahmen einer Sitzblockade gar selbst von der Polizei von der Straße wegtragen lassen. So weit wird es beim Konzert im Kleist Forum sicher nicht kommen.
Jan Plewka singt Rio Reiser 2: „Wann, wenn nicht jetzt?“, Konzert mit der Schwarz-Roten Heilsarmee, Sonnabend (18.2.), 19.30 Uhr, Kleist-Forum in Frankfurt (Oder)