Mit der Machtübernahme der NSDAP 1933 wurden mehr als 90 Konzentrationslager als „Lager der Rache“ eingerichtet. Die Nationalsozialisten übten dort ihre Macht aus, wollten Gegner abschrecken, die Bevölkerung einschüchtern. Historiker sind sich zwar einig, dass der Weg in den millionenfachen Massenmord durch die frühen Lager nicht vorgezeichnet war. Aber er wurde mit ihnen geebnet, die NS konnte die Instrumente der Gewalt erproben – in Oranienburg mitten in der Stadt. An der Berliner Straße wurde am 21. März 1933 das erste KZ Preußens eingerichtet.
Ein Berliner Bankhaus stellte das Gebäude kostenlos zur Verfügung: Von der ehemaligen Kindl-Brauerei, in dessen Verwaltungs- und Fabrikgebäude die lokale SA-Standarte 208 das staatliche Konzentrationslager errichtete, ist nicht mehr viel übrig. Nur Teile der Brandmauer überlebten den Krieg, eine Tafel erinnert an das über Jahrzehnte fast vergessene KZ, das vielfach mit Sachsenhausen verwechselt oder gar gleichgesetzt wurde. In der öffentlichen Wahrnehmung überlagerte Sachsenhausen das frühere KZ.

Die frühen KZ führten nach Auschwitz

Am 21. März 1933 wurden in Oranienburg die ersten 40 misshandelten Häftlinge, regionale Funktionäre und Mandatsträger der KPD und SPD, eingeliefert. 73 Prozent der Häftlinge kamen aus linken Parteien der Arbeiterschicht. Bis zur Auflösung des Lagers Anfang Juli 1934 waren rund 3000 politische Gegner der Nationalsozialisten sowie Künstler und Intellektuelle inhaftiert. In der Gedenkstätte Sachsenhausen ist ab Dienstag (21. März) die Ausstellung „Auftakt des Terrors“ zu frühen Lagern zu sehen.
„Die schrankenlose Gewalt in den frühen Konzentrationslagern gegenüber wehrlosen Männern und Frauen stellt einen ersten staatlich legitimierten Angriff auf die Menschenrechte und die Grundwerte der Zivilisation durch die Nationalsozialisten dar“, sagt Agnes Ohm, Sammlungsleiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen und Mitkuratorin der Ausstellung. „Diese Gewalt bildete den Auftakt des Terrors, der noch folgen sollte und nach Auschwitz führte.“
Viel ist vom Gedenkort zwischen Lidl und künftigen Polizei-Wohnheim nicht geblieben. Mehr zur Geschichte des frühen KZ gibt ein Audiowalk preis.
Viel ist vom Gedenkort zwischen Lidl und künftigen Polizei-Wohnheim nicht geblieben. Mehr zur Geschichte des frühen KZ gibt ein Audiowalk preis.
© Foto: Klaus D. Grote
Die frühen KZ, die meist schon nach wenigen Wochen oder Monaten wieder geschlossen wurden, sollten die Macht der NSDAP sichern. Oranienburg entwickelte sich zum Erfolg, wurde schon bald vom Innenministerium finanziert – und von der Stadt und ihrer Bevölkerung gedeckt. Bäcker und Apotheker belieferten das KZ, die Stadt gewährte der SA Darlehen. Im Auftrag der Stadt mussten die Häftlinge Straßen und Fahrradwege bauen, Forstarbeiten durchführen, teilweise sogar Arbeiten in Privathaushalten erledigen. Oranienburgerinnen und Oranienburger konnten die unter „Schutzhaft“ gestellten Menschen für Hausarbeiten und damit Zwangsarbeit „mieten“. Die Häftlinge hatten zuvor das Lager selbst aufgebaut und das Gelände hergerichtet.
Die Häftlinge mussten leiden, sie wurden misshandelt, verhört, erniedrigt und gefoltert. Mindestens 16 Menschen wurden bis zur Auflösung am 14. Juli 1934 ermordet, darunter die Schriftsteller Erich Mühsam. Namentlich bekannt sind auch Hermann Hagendorf und Max Sens, die nach schweren Misshandlungen gestorben sind. Zu den Inhaftierten zählten auch der Schriftsteller Armin T. Wegner sowie der Regisseur und spätere erste SFB-Intendant Alfred Braun.
Eine Besonderheit in Oranienburg: Es gab eine frühe Trennung von jüdischen und anderen Häftlingen. Juden in der sogenannten „Jugendkompanie“ – sie mussten Armbinden tragen – wurden gezwungen, sich gegenseitig zu verprügeln oder Toiletten mit bloßen Händen zu reinigen, wie der Historiker Frédéric Bonnesoeur berichtete. Dass jüdische Häftlinge schlechter behandelt wurden, war keine Anweisung von oben, der Terror ging offenbar allein von den SA-Männern in Oranienburg aus.

Ausstellung „Auftakt des Terrors“

● Eröffnung in der Gedenkstätte Sachsenhausen: 21. März, 17 Uhr. Mit einem Vortrag von Historiker Frédéric Bonnesoeur. Zu sehen bis 30. Juli im Neuen Museum.
● Elf Themenstationen mit Biografien von Verfolgten und Tätern beleuchten die Rolle und Funktion der frühen KZ.
● 17 Gedenkstätten und Lernorten aus dem Bundesgebiet haben die Ausstellung als AG „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“ erarbeitet.
● Schirmherrin des Projektes ist Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne).

Vater und Sohn standen sich im KZ gegenüber

In den oft ländlich gelegenen Lagern trafen Familien plötzlich aufeinander. So sah sich KPD-Mitglied Willi Ruf, der in Oranienburg Stadtverordneter war und inhaftiert wurde, plötzlich mit seinem Vater konfrontiert. Der Vater war Aufseher im KZ, sein Sohn Häftling. „Nicht selten kamen Täter und Opfer aus dem gleichen Milieu oder waren Nachbarn beziehungsweise Familienangehörige“, heißt es im vom ehemaligen Stiftungsdirektor Günter Morsch und Agnes Ohm 2014 veröffentlichten Buch „Terror in der Provinz Brandenburg. Frühe Konzentrationslager 1933/34“.
Die SPD-Politiker Björn Lüttmann und Katrin Lange vor der Brandmauer, die von der ehemaligen Brauerei und dem späteren KZ noch steht.
Die SPD-Politiker Björn Lüttmann und Katrin Lange vor der Brandmauer, die von der ehemaligen Brauerei und dem späteren KZ noch steht.
© Foto: SPD Oranienburg
Das KZ Oranienburg spielte eine wichtige Rolle für die NS-Propaganda, nicht nur als Vorbote für das staatlich organisierte KZ-System. Es wurde von Lagerkommandant SA-Sturmbannführer Werner Schäfer als „gläsernes KZ“ verkauft. Hoher Besuch und Journalisten aus dem In- und Ausland wurden durchs vermeintliche „Erziehungslager“ geführt, es gab Artikel und Reportagen, für die Bilder mit Häftlingen – beispielsweise beim Frühsport – gestellt worden waren. „Filmaufnahmen der Wochenschau über das KZ Oranienburg wurden in rund 5000 Kinos gezeigt“, heißt es auf der Seite der Gedenkstättenstiftung.
Seit Jahren gibt es in Oranienburg Bestrebungen, das fast vergessene KZ in Oranienburg wieder präsenter in Erinnerung zu rufen. Das Projekt kommt langsam voran. Aber es kommt voran. Eine Fertigstellung 2025 sei realistisch, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Björn Lüttmann, der sich seit Jahren um die Neugestaltung des Gedenkortes bemüht. Im Januar 2020 hatten die Stadtverordneten auf einen Antrag der Fraktionen SPD, Linke und Grüne hin die Neugestaltung beschlossen.
In einem Interview für den von den Studentinnen Frederike Moormann und Paulina Rübenstahl gestalteten, vom Kulturministerium geförderten und von Henning Schluß mitinitiierten Audiowalk zum ehemaligen KZ Oranienburg sagt der Historiker Hans Biereigel – er war 1976 als Direktor der Nationalen Mahn­- und Gedenkstätte Sachsenhausen in die Stadt gekommen –, der Gedenkort entspreche aktuell „keiner würdigen Erinnerung“. „Nur der kleine Gedenk­stein, das ist zu wenig.“ Hans Biereigel, dessen Vater 1943 von Nazis erschossen wurde, weil er zur Roten Armee überlaufen wurde, ist einer der vielen Akteure, die mithelfen, über die Verbrechen der NS-Zeit aufzuklären.
Dazu könnten demnächst auch Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter beitragen, die ins noch zu bauende benachbarte Wohnheim ziehen. Sitzen sie dann ab 2025 gemütlichen mit einer Flasche Bier oder Menthol-E-Zigaretten am KZ-Gedenkort? Wirkt im ersten Moment falsch. „Aber ich denke, dass es das Beste ist, was uns passieren kann“, sagte Stiftungsdirektor und Gedenkstättenleiter Axel Drecoll dem Audiowalk-Team in einem Interview. „Ein Ort, an dem die Polizeischüler*innen leben — und gleichzeitig an die Vergan­genheit erinnert werden.“
Kulturministerin Manja Schüle (SPD) sagte zur Einführung des Audiowalks mit Blick auf das frühe Lager und seine Auswirkungen: „Es wird klar, wie brüchig Demokratie sein kann, dass sie nicht in den Schoß gelegt ist und dass wir darum kämpfen müssen.“ Es gehe dabei auch um folgende Frage, die an Relevanz auch 90 Jahre später nicht verliert: „Wie werde ich mich in Zukunft verhalten?“ Zwei Jahre nach Schließung des KZ Oranienburg wurde im Sommer 1936 das KZ Sachsenhausen errichtet.
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