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AfD in Brandenburg: Wie aus der Partei um Gauland, Kalbitz und Berndt ein rechtsextremer Verdachtsfall wurde
Die AfD in Brandenburg hat sich seit der Gründung 2013 stark nach rechts radikalisiert. Wie wurde aus einer konservativen Alternative zur damaligen Wirtschaftspolitik eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird?
„Kräfte, die versuchen, die extremistischen Tendenzen aus der Partei zu verdrängen, nehmen wir kaum noch wahr“. Diese jüngste Einschätzung des Verfassungsschutzpräsidenten, Thomas Haldenwang, zur gesamtdeutschen AfD trifft in Brandenburg nicht erst seit kurzem, sondern lange schon zu.
Betrachtet man die Politik der AfD in Brandenburg, fällt es schwer zu glauben, dass die Partei einst mehr oder weniger als reine Wirtschaftspartei angetreten war. Wie kommt es, dass die anfänglich wirtschaftskritische Positionen der AfD innerhalb eines Jahres kaum noch eine Rolle spielten? Und wie ist aus der Partei der Wirtschaftskritiker ein rechtsextremer Verdachtsfall geworden?
War die AfD in Brandenburg von Anfang an rechtsextremistisch ausgerichtet?
Ursprünglich wurde die Alternative für Deutschland als eine breit aufgestellte Abspaltungspartei gegründet. Die Gründungsmitglieder kamen „im Kern aus den Unionsparteien, der FDP und aus diversen Kleinstparteien“, schildert Christoph Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) in Potsdam.
Zunächst war nicht abzusehen, in welche politische Richtung sich die Partei entwickeln würde. „Anlass für die Gründung war zunächst die Europa-Politik und die Schuldenpolitik der Bundesregierung“, so Schulze weiter.
In Brandenburg lagen die Dinge jedoch anders. Gideon Botsch, Leiter der Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle am MMZ, weist darauf hin, dass es in Brandenburg mit der Radikalisierung der AfD sofort losging. „Und die verantwortliche Person für diesen Rechtsdrall ist Alexander Gauland“, so der Leiter der Forschungsstelle am MMZ.
Alexander Gauland
● Der 1941 in Chemnitz geborene Alexander Gauland ist heute Ehrenvorsitzender der AfD. Seine politische Karriere begann er jedoch in den 70er-Jahren bei der CDU.
● Nach dem Abitur floh er aus der ehemaligen DDR, kehrte Anfang der 90er-Jahre allerdings wieder in die neuen Bundesländer zurück. Dort war er dann zunächst als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam und als Kolumnist beim Berliner Tagesspiegel tätig.
● Schon damals zeigte sich in einigen seiner Veröffentlichungen seine rechtspopulistische Haltung.
Die rechte Ausrichtung der Partei war bereits in der Migrationsdebatte ab 2014 deutlich erkennbar. Diese Ausrichtung hängt auch „sehr stark damit zusammen, dass Alexander Gauland die Pegida-Bewegung quasi als natürlichen Partner erkennt und bezeichnet“, erläutert Botsch.
Mit einer Arbeitsgruppe war Gauland nach Dresden gereist, um das politische Potenzial der Protestorganisation auszuloten und sie als Verbündete zu gewinnen. Ab diesem Zeitpunkt begann vor allem in Ostdeutschland eine deutliche Radikalisierung. Diese fand aber nicht nur auf programmatischer Ebene statt. Auch der Ton wurde rauer. „Wir stellen eine deutliche Radikalisierung der Rhetorik fest“, so Botsch. Außerdem, so der Wissenschaftler, seien in dieser Zeit „personell“ Radikalisierungsprozesse zu beobachten.
Für die Entwicklung der AfD in Brandenburg spielt jedoch nicht nur Pegida eine Rolle. Auch andere rechtsgerichtete Protestgruppierung werden in den darauffolgenden Jahren als Bündnispartner erkannt und gehen in der brandenburgischen Fraktion auf. So zum Beispiel die gut eingespielte und erfahrene Neonazi- und rechtsextremen Hooliganszene, wie dies unter anderem in Cottbus geschehen ist.
„Wir können das sehr deutlich nachvollziehen, wenn wir uns die beiden AfD-Fraktionen von 2014 und von 2019 anschauen“, schildert Schulze. So seien etwa ein Drittel der neu hinzugekommenen Parlamentarier über die Straßenproteste gekommen, wie beispielsweise Hans-Christoph Berndt. 2015 hatte Berndt den rassistischen Verein „Zukunft Heimat“ mitgegründet, 2018 trat er in die Partei ein. Mittlerweile ist er AfD-Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag.
Das vielleicht prominenteste Beispiel dürfte allerdings Andreas Kalbitz sein. Dessen Partei-Ausschlussverfahren aufgrund von eindeutig rechtsextremen Verstrickungen sorgte ebenso für Schlagzeilen wie die Tatsache, dass sich die Brandenburger AfD trotz einer früheren Mitgliedschaft in einer Neonazi-Organisation und der Teilnahme an einer rechtsextremen Demonstration im Jahr 2007 fast geschlossen hinter Kalbitz stellte.
Andreas Edwin Kalbitz
● Andreas Edwin Kalbitz war Landesvorsitzender der AfD Brandenburg und Mitglied des AfD-Bundesvorstandes.
● Im Mai 2020 wurde ihm das Parteibuch entzogen, weil er unter anderem seine frühere Mitgliedschaft in der Neonazi-Organisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ verschwiegen hatte. Das Parteiausschluss-Verfahren dazu ist allerdings noch nicht abgeschlossen.
● Er gehörte dem Flügel, einer völkisch-nationalistischen Gruppierung um Björn Höcke, an und war Mitglied in mehreren rechtsextremistischen Vereinigungen.
● Seit 2014 ist er Mitglied der AfD-Fraktion im brandenburgischen Landtag.
Wer wählt eine Partei, die sich offen rechtsextrem positioniert?
Bezogen auf die AfD-Wählerschaft ist in Brandenburg besonders der Blick durch die geografische Brille spannend: Während der Südosten deutlich zur AfD neigt, zeigt sich der nordöstliche Teil der Bevölkerung von den rechten Tendenzen eher wenig beeindruckt.
Gleichzeitig spielt die Nähe zu Berlin und zur Grenze nach Polen offensichtlich eine Rolle. Denn im Grenzgebiet und im Speckgürtel konzentriert sich eine große Zahl der AfD-Befürworter. Ausschlaggebend ist ebenso das Geschlecht. „Auffallend ist, dass zweimal so viele Männer wie Frauen die AfD wählen“, berichtet Botsch. Aber auch durch ehemalige Nichtwähler fallen der Partei einige Stimmen zu.
Allgemein kann man die brandenburgische AfD, in Bezug auf die Wählerschaft, als eine Volkspartei des Mittelstandes bezeichnen. Die Bevölkerungsgruppe mit mittlerem Bildungsstand und in mittlerer sozialer Lage scheinen sich von der AfD besonders stark angesprochen zu fühlen.
Die AfD ist somit keine bildungsferne Partei, zieht aber auch kein Bildungsbürgertum an. Ebenso wenig lässt sie sich als Unter- oder Oberschichtenpartei beschreiben.
Im Gegenteil: Sie ist nah am Bevölkerungsdurchschnitt. Bedeutend ist hierbei ebenso, dass die AfD über „relativ viel Rückhalt im gewerblichen und handwerklichen Mittelstand“ verfügt, betont Botsch.
Weshalb fühlt sich die Mittelschicht in Brandenburg so stark von der AfD angesprochen?
Einer der Gründe für den starken Rückhalt im Mittelstand sind die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen, die sich die Partei zu eigen macht. Daher verwundert es kaum, dass sie als Protestpartei bei ihrer Politik vorrangig auf Krisenmomente innerhalb der Gesellschaft setzt. Lange Zeit war es die Migrationspolitik. Später, während der Corona-Pandemie, pochte die AfD zunächst auf strenge Maßnahmen. Als diese von der Bundesregierung umgesetzt wurden, änderte die AfD gänzlich ihre Forderungen und trat für Lockerungen ein. Um Protest-Wählerstimmen zu gewinnen, trat die AfD mit der „Verschwörungsideologisch aufgestellten Bewegungspartei ‚die Basis‘ auf“, macht MMZ-Forscher Schulze diese 180-Grad-Drehung deutlich.
Aktuell sei zu beobachten, dass die Partei im Zuge der europaweiten Sanktionen gegen Russland erneut auf die Stimmen aus den Straßenprotestbewegungen eingeht.
Könnte die Zahl der AfD-Wähler in Zukunft wachsen oder ist sie bereits ausgeschöpft?
Das Potenzial der AfD darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Es ist zudem anzunehmen, dass sie in Zukunft an Wählerschaft dazugewinnt. Gerade in Brandenburg befinde sich die Partei jedoch in einem desolaten Zustand. Durch jahrelange Strategie der Protestpolitik habe es die AfD versäumt, einen klar definierten Kurs einzuschlagen, so die Wissenschaftler.
Die Parteipolitik scheint sich weniger auf eine Stabilisierung der Krisenlage zu konzentrieren als mehr auf Zuspitzungen. Unzufriedenheit in der Gesellschaft und Krisenstimmung versucht sie sich zunutze zu machen, um Wahlerfolge zu erzielen. Auf lokaler Ebene betreibe sie außerdem keine lösungsorientierte Politik. Für die Belange des Mittelstandes trete sie kaum ein, hat das MMZ herausgefunden. „Das behauptet sie manchmal. Aber sie wird von den Fachverbänden nicht so wahrgenommen, weil die AfD nicht den Eindruck vermittelt, als wäre sie daran interessiert, die Situation zu stabilisieren“, so Botsch.
Trotz der vielversprechenden Wahlergebnisse und einer realistischen Chance, die Lokalpolitik zu verändern, verharrt die AfD in Brandenburg weiterhin in ihrer Protesthaltung. Sie arbeitet keine konkreten Vorschläge zur Umstrukturierung aus. Sodass, abgesehen von einer erfolgreichen Straßenprotestpolitik, ihre politische Arbeit unprofiliert und ziellos bleibt. Das „erklärte Kalkül der AfD ist es, die Verhältnisse zuzuspitzen, die Unzufriedenheit zu befördern, damit sie eine Systemkrise beerben kann“, sagt Botsch. Dass die AfD dabei nicht vor demokratiefeindlichen Positionen zurückschreckt, zeigt sich schon darin, dass sie in Brandenburg seit 2020 vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ein Ende der Entwicklung nach rechts ist nicht abzusehen.