In einer kurzen Verhandlungspause gibt es plötzlich besorgte Mienen am Landgericht Frankfurt (Oder). Die Vorsitzende Richterin Claudia Cottäus führt erst auf dem Flur, dann im Gerichtssaal intensive Gespräche. Ein Rechtsanwalt ruft ihr in Erinnerung: „Sie haben hier das Hausrecht. Sie tragen die Verantwortung.“
Was ist geschehen? Die Betreuer des aus der forensischen Psychiatrie in Eberswalde vorgeführten Beschuldigten haben wahrgenommen, dass Stephan D. sehr angespannt ist. Eine angebotene Medikation, um sich zu beruhigen, habe der 38-Jährige abgelehnt. Und deshalb steht die Gefahr im Raum, dass er wieder die Kontrolle über sich verliert. Die Vorsitzende erklärt ihm schließlich, dass man ihm möglicherweise die Handschellen wieder anlegen müsse, auch wenn sie das mit Blick auf die Menschenwürde nicht veranlassen möchte.
Der Prozess geht erstmal ohne Handschellen weiter
„Das ist nicht nötig. So angespannt bin ich nicht“, erwidert Stephan D. „Ich schaffe das ohne Medikation.“ Daraufhin kann die Verhandlung – ohne Handschellen für den Beschuldigten – mit der Vernehmung des nächsten Zeugen fortgesetzt werden.
In dem am Mittwoch (13. September) am Landgericht Frankfurt (Oder) begonnenen Sicherungsverfahren geht es um die zunächst unbefristete Unterbringung des unter paranoider Schizophrenie leidenden Mannes im Maßregelvollzug. Laut Staatsanwaltschaft hat er am 23. Dezember 2022 in Schöneiche um die Mittagsstunde seine auf dem Nachbargrundstück wohnende Oma mit neun Messerstichen getötet.
Die Tat von Schöneiche hatte sich angekündigt
Nach der Tat soll er sich ohne Eile in seinen dunkelblauen BMW gesetzt und davongefahren sein. Als Einsatzkräfte ihn auf der B1 im nahen Vogelsdorf stellen wollten, versuchte er, einer Polizistin die Waffe zu entwenden. Dabei löste sich ein Schuss, der die Hand von Stephan D. traf. Zwei Polizisten, die ihn daraufhin überwältigten, trugen Prellungen, Schürfwunden und weitere Verletzungen davon.
Zum Glück konnte noch Schlimmeres verhindert werden. Dennoch weckt der Fall auf vielen Ebenen Erinnerungen an den 28. Februar 2017, als der damals 24 Jahre alte Jan G. in Oder-Spree zunächst seine Oma in Müllrose getötet und auf der anschließenden Flucht in Oegeln zwei Polizisten ermordet hatte. Eine wichtige Parallele: In beiden Fällen hatten sich die Taten angekündigt, aber es wurden daraus keine geeigneten Schlussfolgerungen gezogen.
Landräte fordern vergeblich anderen Umgang mit psychisch kranken Gewalttätern
Stephan D. hatte im Vorfeld unter anderem das Auto einer Frau mit einer Axt angegriffen sowie eine Mutter und ihr Baby im Kinderwagen attackiert. Nach einer kurzzeitigen Zwangseinweisung in das Krankenhaus Rüdersdorf wieder in Freiheit, tötete er seine Oma. Rolf Lindemann, inzwischen aus Altersgründen aus dem Amt geschiedener SPD-Landrat von Oder-Spree, hatte in den vergangenen Jahren von der Landesregierung vehement mehr Augenmerk auf den Umgang mit psychisch kranken Gewalttätern gefordert. Im Frühjahr 2023 hatten sich der Initiative mehrere andere Landkreise angeschlossen. Sie fanden jedoch mit ihren Forderungen bei Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) kein Gehör.
Zurück zum Verfahren gegen Stephan D.: Der frühere Hort-Erzieher, schlank und groß, kahl rasierter Schädel, wirkt auf Beobachter im Gerichtssaal gar nicht angespannt, sondern ruhig und freundlich. Zu den vorgeworfenen Taten möchte er sich nicht äußern. Gegenüber dem Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber hatte er die Tötung der 80 Jahre alten Karin D. jedoch eingeräumt.
Eine Nachbarin bemerkte die Stichwunden
Die langjährige Friseurmeisterin hatte bis zuletzt treuen Kunden immer noch privat die Haare geschnitten. Einer von ihnen hatte am 23. Dezember um 12.30 Uhr einen Termin. Als ihm nach dem Klopfen niemand öffnete, machte der 86-Jährige die Tür auf und sah Karin D. reglos am Boden liegend. Um sie herum Blut. Weil er kein Handy dabei hatte, lief er zu Nachbarn. Da sah er auf dem Nachbargrundstück Stephan D. „Kümmer dich um deine Oma! Es ist etwas passiert“, rief er ihm zu. Aber der Enkel habe darauf überhaupt nicht reagiert und sei wenig später mit dem Auto weggefahren.
Jene Nachbarin, die dann mit dem 86-Jährigen wieder am Tatort eintraf, ist Krankenschwester. Routiniert überprüfte sie die Lebensfunktionen der am Boden liegenden Frau und bemerkte die Stichwunden am Rücken. „Ich konnte keinen Puls fühlen“, sagt die Zeugin vor Gericht. „Aber sie war noch warm. Es musste also erst vor wenigen Minuten passiert sein.“ Diese Erkenntnis habe ihr damals einen Schreck versetzt. Sie sah auf einmal auch Schuhabdrücke im Blut und fürchtete, dass der Täter noch im Haus sein könnte.
Stephan D. soll mit Suizid und Mord gedroht haben
Gemeinsam mit ihrem Mann wartete sie schließlich draußen auf das Eintreffen von Polizei und Rettungskräften. Das Paar, das zu dem Zeitpunkt erst wenige Monate in der Straße wohnte, hatte in der Zeit gleichwohl bereits zwei Polizeieinsätze bei Stephan D. mitbekommen. „Es war sehr laut“, erinnert sich die Zeugin. Durch das offene Fenster habe sie sehr deutlich eine männliche Stimme vernommen: „Wenn ich gehe, nehme ich andere mit.“ Offenbar eine Suizid-Ankündigung nebst Morddrohung von Stephan D.
Andere Dinge, um die es sicherlich an den folgenden Verhandlungstagen intensiver gehen wird, wisse sie lediglich vom Hörensagen, ergänzt die Zeugin. Es habe Streit ums Geld gegeben, die Oma habe Angst vor ihrem Enkel gehabt. Am Rande des Prozesses ist außerdem zu erfahren, dass sich die Eltern von Stephan D. gar nicht mehr auf das Grundstück getraut und ihm lediglich hin und wieder einen Beutel mit Lebensmitteln ans Tor gehängt hätten.
Am 22. September wird das Sicherungsverfahren fortgesetzt. Eine Entscheidung ist am 9. Oktober zu erwarten.