• Das 144. Baumblütenfest in Werder (Havel) findet vom 22.04. bis zum 01.05.2023 statt.
  • Hier gibt es die Erklärung, was Wein und Obstwein unterscheidet.
Eigentlich war der Wein vor dem Obstwein in Werder. Die Mönche des Klosters Lehnin brachten ihn im 14. Jahrhundert auf die Flächen rund um Potsdam. Rund 100 Hektar Weinberge gab es damals in der Region, erzählt Katharina Lindicke vom Weingut Dr. Lindicke in Werder.
Im 19. Jahrhundert ging der Weinanbau in Werder zugunsten des Obstanbaus zurück. Die ehemaligen Winzer wurden Obstbauern – und entwickelten die Obstweintradition. „In der DDR gehörte der Weinberg der Genossenschaft und wurde erst ab 1985 auf knapp fünf Hektar wieder betrieben – aber eher als lebendiges Denkmal“, berichtet sie. „Da ein Weinstock drei Jahre braucht, bis er trägt, wurde 1988 erstmals geerntet“, weiß sie. Die wenigen Flaschen dienten Repräsentationszwecken und wurden an Delegationen verschenkt.
Als die Wende kam, wurden die landwirtschaftlichen Flächen an mehrere Eigentümer zurückgegeben – als Bauland waren sie aber nicht genehmigt und daher für viele unattraktiv.

Bedingungen in Werder mit der Ahr vergleichbar

Eine Studie der Stadt Werder habe damals ergeben, dass die Weinbergfläche im Mikroklima zwischen den Havelseen und märkischen Sandböden gut für Weinbau geeignet sei und mit den Voraussetzungen an der Ahr vergleichbar ist, so Katharina Lindicke. Nach und nach erwarb die Stadt die Weinberge zurück und verpachtete sie schließlich zum Weinbau an Familie Lindicke.
Die Obstbauern Dr. Manfred und Bettina Lindicke erweckten in den 1990-er Jahren den Werderaner Wachtelberg auf 6,2 Hektar und den Werderaner Galgenberg auf 1,4 Hektar als Weinberge wieder zum Leben. 1997 erweiterten sie das Spektrum der Rebsorten auf den Weinbergen vom reinen Müller-Thurgau-Anbau auf zehn Sorten. Tochter Katharina stieg 2002 in den Familienbetrieb ein. Sohn Stefan konzentriert sich nebenan mit dem Obsthof Lindicke auf den Obstanbau und die Obstwein-Erzeugung der Familie.
„Das Baumblütenfest ist eigentlich nicht unseres“, sagt Katharina Lindicke. Der Weinbau Dr. Lindicke wolle sich bewusst abgrenzen, um den Unterschied zwischen Obstwein und Wein zu verdeutlichen.

Nur Trauben sind süß genug für echten Wein

Zwar werden beide aus vergorener Maische gemacht und der Fruchtzucker zu Alkohol vergoren, aber nur Trauben erreichen in der Gärung problemlos 12 Volumenprozent und mehr, ohne dass Zucker zugegeben werden muss. „Die Traube entwickelt eine starke Süße, die bei der Gärung genutzt wird“, sagt sie.
Obstweinen wird in der Gärung Zucker zugegeben, weil sie sonst nur auf halb so viel Volumenprozent kämen. Oft werden sie auch nachträglich gezuckert. Als weinähnliche Getränke unterliegen Obstweine dem Lebensmittelrecht, nicht dem Weinrecht, das die Alkoholmengen und Bezeichnungen genauer festlegt.
Unter den Wein- und Obstweinfreunden gebe es nur eine begrenzte Schnittmenge, vermutet Katharina Lindicke. „Die Obstwein-Trinker sind eher jünger. Die saftige Süße kommt bei Jüngeren gut an, die noch nicht so viel mit Wein am Hut haben“, sagt sie. „Weintrinker sind etwas älter. Die Anlässe Wein zu trinken, etwa zum Essen, kommen später im Leben.“
„Wir sind stolz auf die Wiederbelebung der alten Weinkultur in der Region“, erklärt Dr. Manfred Lindicke. Werder sei eine alte Weinbauregion mit guten ökologischen und klimatischen Bedingungen. Es liege sozusagen am nördlichen Weinbaupolarkreis. Weinrechtlich gehört der Ort zum nördlichsten Anbaugebiet Saale-Unstrut.

Wein auf Sandboden mit kühlem Klima

„Die Kombination von Sandboden und kühlem Klima in Werder ist schon eine Herausforderung für den Weinbau“, räumt Katharina Lindicke ein. So speichere etwa der Sandboden im Gegensatz zu Ackerboden die Wärme nicht, sondern kühle im Herbst aus. „Wir ernten daher schon sehr früh, bereits Anfang September“, berichtet sie. „Auch die trockenen, heißen Phasen im Sommer werden zunehmend zum Problem. Bei den älteren Reben gehen die Wurzeln tief in die Erde, aber die jungen brauchen Hilfe“. So sei es im letzten Sommer bis zu 40 Grad heiß geworden. „Es hat entweder nicht geregnet oder das Wasser kam als Platzregen herunter und ist am Sandboden abgeperlt“, beschreibt sie das Problem.
Neben klassischen Rebsorten wie den weißen Müller-Thurgau und Sauvignon Blanc oder dem roten Dornfelder, baut Weinbau Dr. Lindicke daher auch PIWI-Sorten wie den weißen Saphira oder roten Pinotin an. Diese pilzwiderstandsfähigen, neuen Rebsorten, sind das Ergebnis jahrelanger Forschung im Weinbau. Seit den 1980-er Jahren reagieren die Winzer deutschlandweit damit auf den Klimawandel. PIWI-Rebsorten entstehen aus Kreuzungen der bestehenden Sorten und sind weniger empfindlich gegen Schädlinge. Daher brauchen sie meist weniger Pflanzenschutzmittel.
Wein aus Werder gibt es inzwischen aus vielen verschiedenen Rebsorten, darunter auch Neuzüchtungen.
Wein aus Werder gibt es inzwischen aus vielen verschiedenen Rebsorten, darunter auch Neuzüchtungen.
© Foto: Elisabeth Voigt
Durch das spezielle, nördliche Terroir ist Werder auch ein ideales Testfeld für die Weinbauforschung. „Wir haben eine Testfläche mit 50 verschiedenen Weiß- und Rotweinsorten auf dem Weinberg, um zu sehen, welche Weine unter unseren Klimabedingungen wachsen, welchen Ertrag sie bringen und wie anfällig sie für Schädlinge sind“, erklärt Katharina Lindicke.

Ausgezeichneter Wein aus Werder

● Das Weingut „Weinbau Dr. Lindicke“ hat seit 2012 eine eigene Kelterei. Kellermeister Marian Malinowski wurde 2022 von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft und dem Bundesministerium für Landwirtschaft als „Drittbester Jungwinzer“ Deutschlands ausgezeichnet.
● Vom Weinbauverband Saale-Unstrut erhielt Malinowski die Auszeichnung „Bester Jungwinzer 2022“.
● Beim internationalen „PIWI Wine Award“ wurden der Sekt Muscaris und der Wein Saphira, Jahrgang 2021, mit Gold ausgezeichnet.
Der Sandboden verleihe den Weinen eine schlanke, filigrane Struktur, eine angenehme Säure und frische Fruchtaromen, sagt sie. „Das Terroir ist erkennbar, auch wenn es nicht auf solchen breiten Schultern liegt, wie in den Weinanbaugebieten“, ergänzt sie.
„Wir haben viele Jahre gebraucht, um Werder als ernst zu nehmenden Weinstandort zu präsentieren“, erzählt sie. Durch die räumliche Entfernung zur Saale-Unstrut, sei auch der Austausch mit anderen Winzern schwieriger. „Das betrifft auch ganz praktische Dinge, wie die gemeinsame Nutzung von Geräten“, erläutert sie. Aber wo es geht, sei Werder bei Präsentationen des Weinanbaugebietes Saale-Unstrut dabei.
  • Die Strausswirtschaft „Weintiene“ auf dem Wachtelberg im Stadtgebiet von Werder ist seit Ostern bis Mitte Oktober geöffnet. Während der Weinlese von August bis Oktober gibt es den neuen Wein als Federweißer mit Zwiebelkuchen.
  • Veranstaltungshöhepunkt des Jahres ist das Winzerfest im Juli. Auf dem Werderer Wachtelberg werden auch Führungen zur Geschichte des Weinbaus angeboten.